Freitag, 5. Juni 2009

Pyropunk :: War against Horror

Die erste Dekade des 21. Jahrhunderts waren wie die 80er, nur mit schlechterem Haar.
Die Rede war von einem Revival, aber Karl Edwyn Rothner hatte in den letzten Jahren so viele seiner Freunde und Verwandten an die Schwankungen im Mega-Strom verloren, dass er alles Interesse an Reinkarnation verloren hatte. Er hatte bis zum Jahr 2000 so viele Parallelen besucht, und war von den Schwankungen des Mega-Stromes abgetrieben worden, dass es einige Jahre gedauert hatte, bis er wieder in die Ausgangsrealität zurückgekehrt war.
Und auch heute noch gab es Momente der Verunsicherung, ob er wirklich da war, wo er sein wollte. Immerhin, das ging wohl allen inzwischen so. Die Kids in der Nachbarschaft hatten einen neuen Code, mit dem er nicht mehr mitkam, neue Götter, an die er nicht glauben wollte.
„Wie das Schwimmen durch eine Lawine von Videoclips, während der Kanal jeden Augenblick wechseln kann“, hatte Captain Contable eines Tages gesagt, als sie in den Ruinen des World Trade Centers (März 2001) gefrühstückt hatten. „Die Möglichkeiten vervielfältigen sich mit jeder Sekunde, die ganze Struktur der Wirklichkeit ist fraktal geworden, wie eine Schneeflocke, die sich immer weiter verzweigt.“
Wie eine Schneeflocke, hatte KER gedacht. Kein schlechter Vergleich für die Welt, durch die wir irren. Wie eine Schneeflocke: Immer anders, aber immer gleich.
Die Stahlträger, die aus den Trümmern ragten, hatten im Licht der Mitternachtssonne bizarre Schatten geworfen, als KER und der Captain nach ihrer Mahlzeit zu einem Spaziergang aufbrachen. Rudel verwilderter Hunde flohen vor ihnen, als entlang der sorgsam aufgeschichteten Trümmerberge wandelten. Einige von ihnen hatten eigentümlich verlängerte Pfoten, und KER hatte schwören können, dass der eine oder andere von ihnen versucht hatte, kurze Strecken auf den Hinterbeinen zurückzulegen.
Von den Zwillingstürmen war nicht mehr viel zu erkennen, die Konstruktion war nach dem Aufschlag des Raumschiffes durch die enorme Hitze so stark geschwächt worden, dass das gesamte Bauwerk unter der eigenen Last einstürzte. Der Nordturm war als erstes an den beschädigten Stellen eingeknickt, der Südturm hatte ihm einige Minuten später gefolgt, als die Struktur an den zuerst brennenden Stockwerken nachgab und die darunter liegenden Stockwerke mitgerissen wurden. Die Trümmer glitzerten grau und gläsern unter den fremden Sternen.
„Ich hatte mehr Hoffnung in das Zeitalter der Information gesetzt“, sagte KER und trat gegen eine eigenartig schwarze Coladose, so dass sie klingend über die Steinbrocken sprang. „Aber das ist nicht die Zukunft, die man uns versprochen hat, oder?“
An einem von der Wucht der Explosion verdrehten Straßenschild war der verstümmelte Kadaver einer der außerirdischen Invasoren mit Stacheldraht aufgehängt worden. Ein besudeltes Pappschild hing um seinen tentakelbesetzten Schädel. „War Against Horror“ – das war das Motto des Widerstandes in Amerika und dem Rest der ehemals freien Welt.
Captain Contable lächelte und stocherte mit einem Eisenstab in den Eingeweiden des Gehängten. „Ach, wer weiß, ob es überhaupt die Zukunft ist, mein Junge. Vielleicht spielt sich alles in Zyklen ab, und wir sind bereits wieder am Anfang angekommen. Der letzte Mensch auf Erden ist wieder der erste Mensch, verstehen Sie? Die Zeit…“ Er runzelte die Stirn, als der Stab zu dampfen begann. „Die Zeit ist ein hinterhältiges Ding. Und wer weiß schon, wo wir morgen sind.“
Der alte Mann kicherte, wie über einen eigenen, ganz privaten Witz und warf einen letzten, bewundernden Blick auf die Szenerie, die langsam hinter ihnen zu verblassen begann.
„Ahja“, seufzte er. „Sic transit gloria mundi. Und sonst?“
KER hob fragend eine Augenbraue. „Sonst?“
Contable machte eine vielsagende Handbewegung. „Wie ist es so zuhause? Wie geht’s der Frau und den Kindern?“
„Welche Kinder? Und: was für eine Frau?“
Contable zog die buschigen eisengrauen Brauen zusammen und starrte ihn an. Zuerst strafend, und als er das Unverständnis in Karls Augen zu registrieren begann, mit wachsender Trauer.
„Ach Scheiße“, murmelte er, und auf einmal wirkte er alt und müde. „Du bist es ja gar nicht, Junge…“
„Natürlich bin ich es, Captain…“
Der Captain sah KER lange und traurig an. Seine sonst so klaren türkisblauen Augen hatten alle Farbe verloren.
„Natürlich“, murmelte er, „natürlich bist Du es, Junge. Aber nicht der richtige….“

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