Gestatten, Verne. Jules Verne... Mit Entzücken habe ich zu Weihnachten die Anthologie “Rückkehr zum Mittelpunkt der Erde“, herausgegeben von Mike Ashley & Eric Brown erhalten, etwas was ich mir schon lange wünschte, aber nie die Zeit hatte, zu besorgen. Das hat natürlich auch sein Gutes, jetzt kann man dies Werk auch für einen Bruchteil des ursprünglichen Preises erwerben. Ich glaube 1 Cent und Porto, und es ist sicherlich jeden Cent wert. Nun habe ich es noch ein drittes Mal durchgeblättert, bevor ich es schweren Herzens in meine Bibliothek einsortierte, und wieder zuckt es mir in den Fingern, meine Begeisterung durch eine Homage oder eine andere Art literarischen Diebstahls auszudrücken.
Die Frage wäre nur, als was verkauft man so etwas? Wir alle wissen dass Monsieur Verne als Vater der abendländischen SF gehandelt wird. Würde man mit den Sensibilitäten der heutigen Zeit Erzählungen im Stile und der Epoche von M. Verne verfassen, wäre es wahrscheinlich so genannter Steampunk, in der Art der unterschätzten „Differenzmaschine“ von William Gibson & Bruce Sterling. Die in dieser Anthologie versammelten Geschichten sind jedoch kein Steampunk (oder vielleicht doch), sondern beziehen sich ausschließlich auf die von Vernes Ideen & Stil definierte Welt. Sind es Vernesiaden? Vernepunk? Oh ja, Baby…
Mit einer anderen Sensibilität könnte man mit den reichhaltigen Ideen, die hier zitiert, parodiert und weiterentwickelt werden, ein ganzes komplexes Multiversum kreieren, das der Reichhaltigkeit von Philip José Farmers „Wold Newton“-Universum nicht notwendigerweise unterlegen wäre. Doch die hier gesammelten Erzählungen sind alle Unikate: Es gibt keine Überschneidungen oder Verbindungen zwischen den Einzelinterpretation der Autoren, außer in ihrem Bezug zu Verne und seinem Oevre. Selbst die Interpretationen der einzelnen aus Vernes außergewöhnlichen Reisen bekannten Protagonisten ist jeweils persönlich, individuell und ohne Bezug zu anderen Interpretationen. Grundlage und Material für jede Vision ist allein Verne. So tritt der Baltmore Gun Club zum einen als kaum verhohlener chauvinistsicher Kolonialist auf, in „Die wahre Geschichte über Barbicanes Reise“ von Laurent Genefort, wo es zu einem Konflikt mit den autochthonen Seleniten aus H.G.Wells Mondroman kommt, oder als drollige viktorianische Technofreaks, wie in „Die Gesellschaft der Mondgärtner" von Molly Brown, wo man mit neuerlichen Mondprojektilen sich einerseits der Gärtenabfälle u.ä. entledigt und ein primitives Terraformingprojekt unternimmt.
Nehmen wir „Rückkehr zum Mittelpunkt der Erde“ einfach einmal als holographische Erforschung des Phänomens „Jules Verne“, und merken wir uns dass außergewöhnliche Reisen immer in alle Richtungen möglich bleiben werden.
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