"Wenn des Elias’ Blut auf die Erde träufelt,
so entbrennen die Berge, kein Baum steht mehr,
nicht einer auf Erden, das Meer ausgetrocknet,
das Moor vertrocknet, der Himmel löst sich in Flammen auf,
der Mond fällt, Mittgart brennt,
Kein Stein steht mehr, denn der Gerichtstag fährt ins Land,
Fährt mit dem Feuer, die Frevler zu richten:
Da kann kein Verwandter helfen vor dem Weltenbrand.
denn die ganze Breite der Erde – alles verbrennt,
und das Feuer und die Luft - alles ist gereinigt."
Neulich wollte sich wieder einmal jemand über Gott unterhalten, an der Tür, derweil ich Schnee schaufelte. Wird die Welt in Feuer enden oder im Eis?, lag mir eigentlich auf der Zunge, Robert Frost zitierend. ich war zu müde, es so zu machen wie sonst und den gottesfürchtigen Mann mit meiner fünf Kilo schweren King James-Freimaurerbibel unter dem Arm schreiend um den Block zu jagen. Es war auch zu kalt. Also Plan B.
"Alle Propheten haben Recht gehabt", sagte ich weise, "aber sie haben nicht alles verstanden."
"Ach, fürchten Sie nicht das Harmageddon?", wisperte mein Gegenüber mit einem kalten Funkeln in seinen Schweineäuglein - sich somit als Anhänger einer ganz besonderen Art von Sektierertum outend. "Die Letzte Schlacht, die Apokalypse, das Ende der Welt in Flammen?"
Ich zuckte mit den Achseln. "Die Apokalypse fand längst statt, eure Leute haben sie nur verpasst. Die Welt endete in Flammen im April des Jahres 1904, und eine neue Erde trinkt aus den Urwassern erste Kraft." Ich lächelte milde und deutete auf die baulichen Scheußlichkeiten der letzten hundert Jahre. "Das alles hier sind bloß die Ruinen eines Zeitalters, das schon lange vergessen ist."
So kann man natürlich nicht der auswendig gelernten Argumentationskette folgen. "Aber, aber...", stammelte er und kam mit irgendetwas von Seelen, die errettet werden müssen, oder andersherum. Der Schnee unter meiner Schaufel war besonders hartnäckig, deswegen achtete ich nicht mehr auf ihn. Ich blickte wieder auf, als ihm ein dissonantes "Sohn Gottes" entfuhr.
"Genau", sagte ich, "es ist das Zeitalter des Kindes, und weil wir alle Gottes Kinder sind, ist der Mensch Gott geworden."
"Äh... Adventist?", murmelte er.
"Post-Adventist?", half ich ihm auf die Sprünge.
"Achso..." War es Ekel oder nacktes Grauen in seinen Augen?
"Hey!", rief ich ihm noch hinterher. "Nicht vergessen - Ton, Steine, Scherben: 'Die Letzte Schlacht gewinnen wir!'"
* * *
Auf der Suche nach dem Weltuntergang, nachdem ich mich am Kamin aufgewärmt hatte, konnte ich nicht viel auftreiben. Schade für den armen Nachbaren mit der weltanschaulichen Einschränkung. Harmageddon ist nur eine unklare Ortsangabe, oder ein Berg in Israel; Apokalypse heißt nur "Offenbarung, Enthüllung", und hat somit keinen eschatologischen Bezug, solange sich nicht die richtige entblättert. Seufz...
Selbst als ich mich eher fortschrittlicheren Mythologien zuwandte, wurde ich enttäuscht - die Götterdämmerung hat nie existiert, es heißt wohl "das Schicksal der Götter" (rök) und nicht "das Zwielicht der Götter" (rökr). Immerhin gibt es eine Letzte Schlacht hier, in der sich die Mächte des Chaos und der Ordnung gegenseitig auslöschen, um ein Gleichgewicht herzustellen, auf dem eine neue Welt aufbauen kann. Na, das kann man auch bei Michael Moorcock nachlesen, aber mit mehr Schwertern. Selbst der Weltenbrand ist da nur eines der Vorzeichen, gleich nach dem Fimbulwinter.
Das einzige, was mich hier erheitert, ist eine größtenteils unbekannte, altdeutsche (altbayrische?) Stabreimdichtung mit dem Titel "Muspilli", eine eigenwillige Mischung aus biblischer und germanischer Mythologie, sozusagen eine christianisierte autochthone Actionversion der Apokalypse. "der Himmel löst sich in Flammen auf, der Mond fällt, Mittgart brennt..." Das klingt doch vielversprechend. Protagonist ist der durchaus umstrittene Supermagier und Prophet Elias. Soviel zum Thema "Deutsches Erbe". Ragnarok'n'Roll!
Ich bleibe dennoch bei meiner eigenen Version des Karmageddons und meditiere über das unausweichliche Kommen der Harpokalypse.
Weitere Links*
Text des Muspilli in der Bibliotheca Augustana
Gleichnamiger Roman von Arnold Hagenauer, den man bis auf die letzten Kapitel kürzen sollte.
Aus der Antike: Germania Magna, rekonstruiert nach Ptolemäus’ Atlas der Ökumene
Aus dem Gälischen: "dún", Plural "dúin": eine Festung, Zuflucht, Burg
Kunst: Bilder von John Charles Dollman
Kerker und Ruinen von Piranesi
* Inspiration und Recherche unter anderem für eine Meyrink-Anthologie und "Stadt des Elfenbeins, Stadt der Rosen"
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