Samstag, 22. Juni 2013

Mythos :: Die Hexenlichter der Seneca



Ga’hai oder Hexenlichter nennen die Senecaindianer des Bundesstaates New York eine bestimmte Art nächtlicher unheimlicher Lichterscheinungen, die die Wälder und Sümpfe heimsuchen. In ihren Legenden werden sie beschrieben als fahle, sich nach eigenen Gesetzen bewegende etwa kopfgroße Lichter, die manchmal träge, Geistern gleich, unsichtbaren Wegen folgen oder sich langsam aus dem Boden erheben. Manchmal rasen sie aber auch in rascher Geschwindigkeit über die Baumwipfel rasen, Kometen gleich, deren Ziel unweigerlich ein übler Ort ist, ein Friedhof, ein Schlachtfeld, oder ein Sumpf, in dem das Böse umgeht. In dieser Form ähneln sie auf erstaunliche Weise den Beschreibungen, die spätere Jahrhunderte von anderen unidentifizierten fliegenden Objekten ablieferten – UFOs.

Der französische Forscher Jacques Vallee stellte bereits in den 60er Jahren die Hypothese auf, dass UFOs nicht einen tatsächlich außerirdischen Ursprungs haben – dies wäre nicht nur unökonomisch sondern widerspräche auch der Tatsache, dass ähnliche Erscheinungen während der gesamten menschlichen Historie dokumentiert wurden. Sie könnten vielmehr Manifestationen eines (vielleicht vierdimensionalen) Bewusstseins sein, das nicht an unser Raumzeit-Gefüge gebunden ist. Dies würde erklären, warum das Flugverhalten der UFOs von Gravitation und Aerodynamik losgelöst zu sein scheint, sondern auch die scheinbare Manipulation von Raum und Zeit, die in manchen Begegnungen vorzuliegen scheint.

Die Ga’hai haben ihren abendländischen Namen nicht ohne Grund erhalten. In den meisten Geschichten sind sie mit dem üblen Wirken eines Hexers oder einer Hexe verbunden. Manchmal sind sie unirdische Fackeln, die den Übelwirker zu seinem Opfer oder Ziel leiten, oder sie sind Zeichen, die den Ort markieren, an dem ein Zauber- oder ein anderer Schatz verborgen liegt. In diesem Falle gilt es, ihnen auszuweichen, wenn man ihnen begegnet, denn der oder das, was sie entzündet hat, ist nahebei und wird unweigerlich jeden verschleppen, der seine wahre Gestalt sieht.
Vielleicht sind die Hexenlichter, wie andere Sagen berichten, nichts als eine andere Gestalt, die Hexen annehmen, um zu reisen – eine Projektion der Psyche, wie Vallee von den UFOs annahm, vielleicht in einer höherdimensionalen Form. Diese Art von Hexenlicht, ein schwaches violettes Glühen ohne natürliche Ursache, taucht auch in den folkloristischen Erzählungen auf, die man sich heute noch in Arkham im Bundesstaat Massachusetts erzählt – dort nennt man es Keziahs Hexenlicht, nach der legendären Hexe Keziah Mason.

Wenn man dem Hexenlicht nahe ist, wenn es vorbeigeht, kann man, so die Sage, das schwache Abbild eines menschlichen Gesichtes innerhalb des Lichtballs sehen. Es ist das Angesicht einer Person der Kraft, tot oder lebendig, fahl und verzerrt im Licht einer anderen Wirklichkeit. Obwohl in dieser Form – auch als die Hexenfackel bekannt – unangreifbar, muss die Hexe doch früher oder später zu ihrem oder in ihren natürlichen Körper zurückkehren, und wenn man einem dieser Lichter bis zu seinem Ziel folgt, kann man sehen, wie es plötzlich erlischt und an seiner Stelle die Hexe in ihrer menschlichen Gestalt erscheint.

Diese Hexenlichter werden heute noch häufiger im Norden von New York State gesehen, und von den meisten Einheimischen als eine Art spontane Manifestation des Territoriums selbst betrachtet. Ihre große Anzahl, besonders wenn sie in Schwärmen auftreten, scheint dies zu bestätigen. Sie müssen irgendeine Art natürlichen Ursprung haben, denn wenn ihnen ein übernatürlicher – oder überdimensionaler – Ursprung zugrunde liegen würde, würde es bedeuten, dass die Schreckgestalten der Folklore, die Hexen und Hexer, sich auch heute noch in gleich bleibender großer Zahl versammeln würden. Vielleicht jedoch, wenn wir den Hypothesen von Vallee folgen, bedeutet dies, dass diese Art von Bewusstsein tatsächlich nicht an Raum und Zeit gebunden ist, sondern über die Jahrhunderte hinweg die Orte ihres verfluchten Wirkens heimsuchen, in einem ewigen Jetzt, unangreifbar, unverderblich und unbesiegbar.

(Extrakt aus Hexenlicht/Infodump, der Recherchedatei zu meiner Erzählung "Hexenlicht")

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