Freitag, 21. Januar 2011

Rückkehr zur Sterbenden Erde [4]


Rückkehr zur Sterbenden Erde, ein Essay

Besser noch wird dieser eigentümliche Effekt in zwei anderen Werken Farmers erzielt, die beide in fernster Zukunft angesiedelt sind, auch wenn diese Zukünfte einander auszuschließen scheinen. In The Stone God Awakens (1970) findet sich ein Mensch der Gegenwart in einer Zukunft wieder, in der Tiere sich zu humanoiden Sapienten entwickelt haben, die Amerikas jedoch von einer Superintelligenz beherrscht wird, die sich in Gestalt eines kontinentgroßen „Baumes“ offenbart. Immerhin, es gibt noch sexy Waschbärmädchen. Die Post-Apokalypse, in der Tiere zu Menschen und Menschen zu Tieren geworden sind, ist nichts Neues, wenn wir uns an Pierre Boulles La Planète des singes (1963) oder seine Filmversionen erinnern, oder das in Anlehnung daran von Jack Kirby erschaffene Comic-Epos Kamandi, The Last Boy on Earth (1976 und folgende). Was aber, wenn der Kampf um den Planeten der Affen längst entschieden ist und es keine Menschen mehr gibt, nach denen es sich zu suchen lohnt?

Dark Is The Sun (1979) ist ein weiterer Versuch, das Subgenre der Sterbenden Erde mit den Sensibilitäten der Moderne zu besuchen. Und es ist wirklich die Sterbende Erde, die uns Mr. Farmer zeigt: sie stirbt vor unseren Augen. Die Sonne ist dunkel, grell der Himmel; der Planet steht kurz davor, mit dem Rest des Universums vom Ereignishorizont des Big Crunch verschluckt zu werden. Die letzten Menschen durchwandern ein ganz anderes Nachtland auf der Suche nach ihren Seeleneiern, aber können selbst die Endprodukte pflanzlicher, mineralischer und außerirdischer Evolution, mit denen sie sich verbünden, sie vor dem Hitzetod des Universums retten? Während wir von der Physik, die ihren Abenteuern zugrunde liegt, auch nicht überzeugt sind, müssen wir doch den Erfindungsreichtum und Entschlossenheit, mit dem sie und der Autor ihrem ultimativen Eskapismus frönen, bewundern.

Die Sterbende Erde als Subgenre der Phantastik ist, wie wir gesehen haben, relativ klar umrissen und somit überschaubar. Es ist ein Universum nebenan, das einen hohen Wiedererkennungswert hat, aber wie auch andere Orte gehört es inzwischen zu den Verlorenen Welten der Phantastik. So wie die Voyagersonden uns unsere Träume von einem Roten Mars mit wilden vierarmigen Kriegern und barbusigen Prinzessinnen zerstörten, mag es sein, dass es nicht einmal eine Erde geben wird, deren Todeszuckungen wir bestaunen können aus der Sicherheit unseres Lehnstuhles. Es ist ein Bild der Romantik, ganz unromantisch jedoch sind die globalen Zerstörungen – körperlicher und geistiger Natur – die der Mensch jetzt bereits schon angerichtet hat. Vielleicht vergiften wir den Himmel schon morgen, und ob dann noch Wale da sein werden, die sich auf Schwingen in die Lüfte erheben, wer weiß es schon? Die Kreaturen am Ende der Zeit, wann werden sie geboren werden? Das Abhumane schreitet bereits jetzt unter uns umher, die Sonne liegt altersmüde in einem düsteren Himmel, Ödnis breitet sich um uns und die Welt, die wir kennen, lieben oder verachten, ist nur noch eine schwache Erinnerung, ein Traum, der langsam verblasst, während um uns herum die letzte Dämmerung heran bricht.

Erschreckend erkennen wir, dass wir die Sterbende Erde bereits erreicht haben, ohne einen Umweg von 30 Millionen Jahren genommen zu haben. In der Finsternis, die uns umgibt, machen wir uns auf in die Reise durch ein Nachtland erstaunlicher Dimensionen. Die Entropie hat gesiegt, so wie wir immer gewusst hatten, dass sie siegen wird, und die Hoffnungen und Wünsche des Menschen haben sich als bedeutungslos herausgestellt. Wir sitzen an einem melancholischen Ufer, inmitten der Ruinen, und warten darauf, zu erwachen. Natürlich reicht es, das Buch zu schließen. Wer sagt, dass die Flucht aus dem Morgen schwer ist? Aber man denke nur – die Sonne verlöscht und die eisige Erde schwingt blind und schwarz durch einen leeren Raum!

Wir werden zurückkehren, da bin ich ganz sicher – zurückkehren zur Sterbenden Erde.


aus: PLANET DER VERDAMMTEN, Axel M. Gruner (2011)

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