Montag, 16. Oktober 2006

Inkarnationen des Bösen: Zu filmischen Archetypen des Grauens


Wie immer ist es sehr aufschlussreich, zu studieren, womit sich die Menschen ihre Zeit vertreiben, ihre Träume und Ängste manifest vor Augen halten – an ihren Früchten sollt ihr sie erkennen. Hierbei sollten die Filmklassiker des Horrors und ähnliches als Blaupausen dienen, es handelt sich also im Grunde um ein postmodernes, dekonstruktivistisches Werk. Natürlich ist mir bewußt, daß diese Werke innerhalb eines sehr viel weiterreichenden historischen Kontextes stehen, aber um es überschaubar zu halten, wollen wir uns auf den größeren Teil des 20. Jahrhunderts beschränken.

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In den 30ern haben wir die in von Universal u.a. unsterblich gemachten starken Einzelpersönlichkeiten – das Monster, das bereits deutliche Züge des Antihelden hat und trotz seines seriellen Unterganges immer wiederauferstehen muß, um den narrativen Imperativ zu erfüllen. Zu diesen Erzfeinden zählen natürlich außer Dracula, der Wolfsmensch, der Mumie und dem Monster der Schwarzen Lagune auch der sinistre Dr. Fu Manchu und ähnliche Gestalten. Der Unsterbliche Widersacher, oft mit übernatürlichen Fähigkeiten ausgestattet, die sich wie seine fortwährende Existenz der Erklärung entziehen; eine Inkarnation des Bösen, der jedoch eine eigene Faszination ausstrahlt, da er als relevante immer wiederkehrende Figur vom Antagonisten zum Protagonisten wird.

Diese Figuren werden sicherlich über die 30er Jahre fortgeführt, unterlaufen aber mit wachsender Alterung einen Abnutzungseffekt. Es bleibt nachzuforschen, wie lange dieses Muster tradiert wurde oder ob sich der Mythos des satanischen Übermenschen/faustischen Antihelden mit den Schrecken des Weltkrieges und des Faschismus nicht selbst ins Abseits bugsiert hat. Die 40er Jahre sind in dieser Hinsicht eher inkonklusiv. [Eine genauere Betrachtung der Werke der 40er bestätigt dies tatsächlich – hier wurden vor allem Fortsetzungen perpetuiert, neue Gestalten oder Themen tauchen selten auf. Man kann dies mit dem verringerten kreativen kollektiven Potentialen in der Zeit der globalen Krise erklären.]

Die 50er Jahre sind hervorzuheben durch seine Manifestation kollektiver Existenzangst. Einerseits sind die geprägt von geheimen Invasionen, Infiltrationen und Infektionen gesichtsloser fremdartiger Systeme – das außerirdische Äquivalent der kommunistischen Fünften Kolonne – andererseits wird weltweit die Angst vor der Ausrottung und Verseuchung durch die Atombombe in einer Flut von immer destruktiven und oft gigantischen Mutationen manifestiert. Wir sehen hier in einer scheinbar heilen Norman Rockwell-Gesellschaft die existentielle Angst vor der Realität immanenter Versklavung und Ausrottung. Eine Existenzkrise, die jedoch nur über Stellvertreter (wie in Stellvertreterkrieg) ausgetragen wird. Die globale und doch persönliche Bedrohung durch feindliche Supermächte gebiert den Daikaiju, das gewaltige Ungeheuer, das blind alles zertrümmert, das in seinem Weg liegt.

Über die genauen Unterschiede der 60er und 70er Jahre bin ich mir nicht schlüssig, aber ich denke, dies kann mit einiger Nachforschung geklärt werden, außerdem sollte man nicht vergessen, daß der Fokus des Grauens sicher nicht von einem Tag zum anderen umspringt, sondern sich langsam wandelt.

Der krampfhafte Individualismus und schönere Schein der 70er Jahre kontrastiert auf jeden Fall deutlich mit dem Aufkommen des Zombiefilmes, in der jede Individualität im biologischen Mobbewußtsein des fressenden und faulenden – unelegant daherschlurfenden – Friedhofspöbels untergeht; andererseits in den Katastrophenfilmen, die eigentlich nichts anderes zeigen, als wie die Fiktion und Lebenslügen sogenannter Individuen unter dem Ansturm der Naturgewalt, sprich: Realität, zerschmettert werden. Da die 70er Jahre die Hochzeit der Pseudophilosophien und der irrelevanten soziokulturellen Trends waren, ist dies nicht mehr als vollkommen angemessen. (Im Verlaufe der vorhergehenden Zeilen scheint sich bereits recht deutlich herausgeschält zu haben, daß das Grauen der Zeit immer die Antithese des bestehenden Zeitgeistes mitzutragen scheint. Dies als Hintergedanken kann im Folgenden hilfreich sein, eine besonders erschreckende Realität zu formen...)

Aus dem Katastrophenfilm der 70er geht der Splatterfilm späterer Zeiten direkt hervor. Während es früher die Natur war, die den Menschen erbarmungslos niederwarf, sind es nun psychopathische Einzelgänger, die wie eine fleischgewordene Naturgewalt alles was ihnen im Wege steht umbringen, bis nur noch eine einzelne Protagonistengestalt übriggeblieben ist, die das abschließende Duell, häufig über einem gähnenden Abgrund, bestehen wird. Diese Filme zeichnet aus, daß es anscheinend außer dem rituellen Ableben aller gezeichneten Figuren keinen narrativen Imperativ zu geben scheint, was mit der Betonung des Actiongehaltes in jeder Art von Film auf Kosten der inneren Bewegung gleichzusetzen ist. Die Figuren dieser Ära sind ebenfalls Monster wie die Einzelgänger der 30er, doch ihnen fehlt sowohl der Charakter als auch die Feinsinnigkeit, die sie zu angemessenen Anti-Helden gemacht hat, sie sind hohle Gefäße unausgesprochenen Ekels und Hasses auf den Menschen; das Böse wird nicht mehr in übernatürlichen oder fremden Phänomenen gesucht, sondern mißtrauisch in jedem anderen Menschen vermutet.

(Aus den Terra Arcana-Papieren)

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