Mittwoch, 4. Oktober 2006

Fragmente des Grauens [2]

Ausschnitte & Exposés aus unvollendeten Werken.


Irgendwo in den Adirondacks... oder auch in einer anderen gegend, in der es nur Rednecks und White Trash gibt...

Story-Ausschnitt
LÄNDLICHE FISCHE

Anfang März kam dieser Fremde in unsere Stadt, Akroyd Valley, South Carolina, und er war ein häßlicher Bursche mit einer fast gelben Haut. Kein Asiate, nur schrecklich häßlich, und wahrscheinlich war er so häßlich und so gelb wegen einer Krankheit. Seine Finger waren ganz knorrig, und seine Stirn war wie die eines Affen, aber er hatte helle blaue Augen, die fast zu leuchten schienen, und sie beruhigten einen auch wenig, wenn man ihn ansah, dann konnte man richtig Angst vor ihm bekommen, er war ja fast zwei Meter groß und dabei stand er noch so gekrümmt da.

Er nahm sich ein Zimmer im Hotel, und er zahlte gutes Geld dafür, also kümmerten sich die Leute nicht viel um ihn, auch wenn viele ihm natürlich nachstarrten, als, er die Hauptstraße entlang kam, und sie starrten ihm auch noch nach, als er bereits zwei Wochen hier gelebt hatte. Er schien keine Anstalten zu machen, fortzuziehen, zahlte seine Miete im Voraus und ließ jedermann in Ruhe. Tatsächlich sah man ihn nie, außer wenn er abends ins WALTZING MATHILDA rüberkam um genau vier Gläser Whisky-Soda zu trinken, zu bezahlen, und dann, ohne ein Wort gesagt zu haben, wieder zu gehen.

Es war jedesmal genauso wie beim Mal zuvor, ein Ritual fast. Wenn sein langer, gekrümmter Schatten auf den Gehsteig vor der Kneipe fiel, verstummten alle Gespräche, und alle starrrten ihm entgegen, wenn er durch die Tür trat und zu dem Tisch steuerte, an den er sich zu setzen pflegte. Niemand anderes setzte sich seitdem dorthin. Und alle würden weiter starren, fast stumm, wenn Betty, die Kellnerin mit dem ersten Drink ankam, und würden weiterstarren, bis er seinen letzten Drink getrunken hatte, seine Zeche auf den Tisch legte und dann aufstand, um zu gehen, ohne ein einziges Wort gesagt zu haben.

Er hatte ein einziges Mal ein Wort gesagt in der Kneipe, beim ersten Mal. Die anderen Male servierten sie ihm einfach, was er beim ersten Mal bestellt hatte, und kein Mensch verlor ein Wort darüber.

Er selbst verzog keine Miene, selbst wenn er die Geschichten hörte, die sich die Säufer hinter seinem Rücken über die Tische zubrüllten. Er wollte im Grunde nur eins, in Ruhe gelassen zu werden.

Ich meine, er wirkte nicht träge oder irgendwie lebensmüde - aber hatte wohl schon früh in seinem Leben selbst gemerkt, daß er in keine Gruppe paßte, und so sonderte er sich lieber selbst ab, um der Menge die Genugtuung zu rauben, ihn irgendwo ausgrenzen zu können.

Alles, was er brauchte, Essen, Kleider, bestellte er im 7-11, und er bezahlte immer bar. Auch nach zwei Wochen machte er noch keine Anstalten, wegzuziehen, oder sich eine Arbeit zu suchen oder von der Bank Geld abzuheben, sondern verkroch sich in seinem Zimmer und kam erst spätabends heraus und ging zum WALTZING MATHILDA.

An diesem Abend aber waren ein paar Farmarbeiter aus den Bergen östlich von Akroyd Valley da, die seit zwei Monaten nicht mehr in der Stadt gewesen waren und den Gelben Mann noch gar nicht kennen konnten. Als er erschien und sich an seinen Tisch setzte, der der einzige leere in der ganzen Kneipe war, hatten sie schon viel getrunken. Und als sie ihn sahen, stierten sie ihn mit offenen Mündern an und begannen dann, sich das Maul zu zerreißen.

„Hey, Du Pinscher“, rief Malcolm Bertreux, „Hat Deine Mammi sich von einer Horde Chinks rammeln laßen?“

„Nein, nein“, grinste Daddy McCall und erhob seine Stimme, damit es auch wirklich jeder mitbekommen konnte. „Dem ha'm sie als Kind in die Milch gepißt, deshalb isser so gelb. hahaHA!“

„Vielleicht isser ja auch gar kein richtiger Kerl, sondern nur so'n großer gelber Affe, dem sie'n Anzug angezogen ha'm, damit's keiner merkt, daß er kein Kerl is'?“, schmatzte John Dove.

„Jungs, hört auf damit!“, warnte Betty blaß.

Der Gelbe Mann aber leerte seinen ersten Drink und drehte sich dann um. Seine hellen blauen Augen schienen anzuschwellen, als er sich erhob. Sein großer gelber Schatten wuchs vor den drei Farmarbeitern in die Höhe, und seine blauen Augen brannten kalt auf sie herab.

„Hey, Chink, Willste Ärger?“, knurrte Malcolm.

Da streckte der Gelbe Mann seinen knorrigen langen Arm aus und deutete auf ihn.

Fleisch schmolz, und verband sich wieder. Malcolm wollte etwas sagen, aber er hatte keinen Mund mehr. Nur noch eine kleine runde Öffnung, wie ein Fischmaul, gerade groß genug für einen Strohhalm, blieb ihm.

Pfeifend entwich sein Atem, und er wollte schreien, aber er war stumm wie ein Fisch geworden. Ohnmächtig fiel er von seinem Stuhl. John Dove und Daddy McCall sprangen entsetzt auf. Sie starrten zu ihrem Kumpan, dann zu dem Gelben Mann und wollten ihn anspringen. Der Gelbe Mann deutete auf sie, und sie verstummten. Röchelnd fielen sie in ihre Sitze zurück, betasteten ihre Gesichter und starrten den Gelben Mann an, der wie ein großer schwankender Baum vor ihnen aufragte und stumm lächelnd die langen gelben Hände in seine Hosentaschen zwängte.

„Halt!“, rief da Betty, die nicht alles mitbekommen hatte und kam auf den Tisch zu, „Was geschieht hier schon wieder?“

Der Gelbe Mann grinste. Ihr Blick fiel auf die veränderten Gesichter der Männer, auf das lächelnde gelbe Gesicht und Entsetzen befiel sie. Sie öffnete den dick rot übermalten Mund und wollte lauthals schreien, doch der Gelbe Mann nickte ihr zu, und die rote Farbe verschwand, und mit ihr der Mund.

So begann die Zeit der Stummheit für Akroyd Valley.



"Ländliche Fische" muss in seiner Originalversion vom Anfang der 90er stammen. Ich erinnere mich noch daran, es mit dem ersten Textverarbeitungsprogramm, das ich besass, geschrieben zu haben - damals noch für einen Atari MegaST. Obwohl ich die Story mehrfach umgearbeitet habe, hat mich ihr Ende nie befriedigt. Vielleicht ist sie aber als Teil einer Serie zu gebrauchen.

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