Sonntag, 15. April 2007

Amadeus auf der Flusswelt (7)

Keine Fortsetzung von Nemed House: Amadeus auf der Flusswelt (6) unter Einbeziehung relevanter Suchbegriffe

Irgendwo im Herzen des kybernetischen Universums tickte eine Chaossphäre. Zeit und Raum und selbst Identität waren einem beständigen Austausch unterworfen. Die Scharlachrote Dame ist immer dabei. Künstler oder Propheten scheinen sich der starken Faszination, die von diesem Bild ausgeht, kaum entziehen zu können und müssen es fortsetzen und weitertradieren.

„Ein feines Spielchen“, dachte Amadeus. „Tod und Verzweiflung flammet um mich her …“ Er dirigierte eine Gruppe von fünfzig Androiden – schweinsköpfig, abgebrüht, voll auf Anabolika – den Brückenkopf zu halten und die Gasse sowie die angrenzenden Gebäude ständig zu kontrollieren. Seine Absicht war klar. Er wollte sich den Rückweg auf alle Fälle offen halten. Mit Handzeichen verständigte er sich mit den anderen Chaosingenieuren – Hiram Kobalt, Vanessa Anne, Hudgens Nightface und ‚Rock’ Sarastro.

Der Rest der Streitmacht wurde in vier weitere Gruppen aufgeteilt, von denen jede die Aufgabe hatte, einen der durch Brückenaufgänge mit dem Platz verbundenen Türme zu besetzen und zu durchsuchen.

Der Trupp, den Amadeus anführte, nahm den nächst gelegenen Turm in Angriff. Es handelte sich um ein schlankes, minarettähnliches Bauwerk mit noppenähnlichen Vorsprüngen, die sich wie Cockringe um den eigentlichen Rumpf des Turmes legten.

No Science, no Fiction – no Future.

Die sanft geschwungene Brücke, die von der Ebene des Platzes aus in die Höhe führte, mündete, von unten gezählt, auf dem dritten Vorsprung, in etwa achtzig Meter Höhe. Der Turm selbst war wenigstens fünfhundert Meter hoch. Die Schlankheit war dementsprechend relativ.

„Planet Tokyo Drift“, winselte es aus dem Helmverstärkern – die Stimme des Plattwurmes, Singstar Barcelona live auf 5-D im Orbit. „Planet Tokyo Drift, die Sterne schimmern auf der Milchstrasse.“

Auf der anderen Seite des Turmes: Hiram Kobalt schätzte den Durchmesser des zylindrischen Turmrumpfes auf wenigstens zwanzig Meter. Sein Helmempfänger übertrug den Marschbefehl. Er unterdrückte den Wunsch, den Antigrav zu aktivieren und zum Ende der Brücke hinaufzuschweben, anstatt den steilen Bogen mühsam emporzuklettern. Der Gegner durfte keine Gelegenheit erhalten, die charakteristische Ausstrahlung des Antigravs zu registrieren. Die Anwesenheit der immer noch unsichtbaren regulären Truppen mußte so lange wie möglich geheim gehalten werden.

„Rock on, Planet Tokyo Drift, rock on… hinein ins pulsierende Fleischherz der Milchstrasse… Come on…“

Mehr als fünfhundert Androiden und fast achtzig Mann schoben sich die lange Brücke hinauf. Hiram vergaß zeitweise seine Bedenken, als das Niveau der Brücke sich über die Dächer der niedrigeren Gebäude erhob und er einen weiten Ausblick über die Festung bekam.

Bis zum Rand des Blickfelds erstreckte sich der verfilzte Teppich grotesk geformter Bauwerke, über deren Dächer sich nur die schlanken Umrisse der Türme erhoben. Nirgendwo zeigte sich die leiseste Spur von Aktivität.

Wie ein sturmgepeitschtes, zu Stahl erstarrtes Meer zog sich die Festung bis zum nördlichen Horizont, nur hier und da von den dünnen Linien sich windender Straßen oder den dunklen Flächen der Plätze unterbrochen. Eine zusammengemixte Collage aus zweitklassigem Plot, drittklassiger Esoterik und viertklassiger Recherche, dachte er. Alle Architekten bedienten sich bei der Konstruktion gerne kultureller Archetypen und Klischees.

Auf den seltsam gefärbten Metallmassen brütete die amethystfarbene Sonne.

Es war unheimlich still, bis auf das hysterische Plappern in den Helmempfängern. „Planet Tokyo Drift“, rappte es in seine Ohren, „Planet Tokyo Drift. Siebenfacher Sonnenkreis! Letzte Ausfahrt links, entlang der Milchstrasse, entlang der Milchstrasse… Milka Gürtel… Gürtel Rose…“

„Ich habe schon angenehmere Landschaften gesehen, Sie nicht auch?“ fragte Falk Lanzarote neben ihm, ein Leutnant aus einer der Kolonien entlang des Jakobswegs von Eridanus VII.

„Ganz richtig“, antwortete Hiram. „Viel angenehmere sogar.“

„Man könnte annehmen, die Anlage sei von Verrückten gebaut worden“, wagte der Leutnant sich weiter vor. „Man fragt sich, wie die Denkweise der Wesen beschaffen sein muß, die solche Gebäude errichten.“

„Hm“, machte Hiram. Er ärgerte sich. Er war mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt, und niemand hatte das Recht, ihn dabei zu stören. Er hatte sich stets über die Unzahl von Theorien über angebliche Verschwörungen geärgert, die in der modernen Popkultur zirkulierten. Die Medien gierten nach apokalyptischen Schlagzeilen, und selbst ernannte ‚Kult-Spezialisten’ machten schnelles Geld.

„Ich könnte mir vorstellen“, hörte er Falk Lanzarote sagen, „daß die…“

Das war das letzte, was er von ihm zu hören bekam.

Der Flux kam über ihn und löste alle Türme und die diskordische Architektur in einer Welle polychromen Konfettis auf.

„Mei“, sagte Amadeus, als die Welt unterging und die Chaosingenieure entlang einer ungeraden Anzahl von Dimensionen versprengt wurden. „Rock on.“

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