Aus einem Brief an den Wicca-Hohepriester von Hamburg (ca. 1991):
Ein interessantes, wenn auch auf den ersten Blick sehr willkürliches Experiment in der Übertragung der Runen in einen anderen Rahmen wurde vor einiger Zeit von einer Arbeitsgruppe hamburgischer Okkultisten durchgeführt. Sie verwarfen dafür die Vorstellung von "den Runen" als un-bewusster und unbeseelter magisch aufgeladener Ideenkomplexe und entwickelten den zeremonialmagischen Ansatz von Runen als Siegeln korrespondierender Mächte ("Intelligenzen" beziehungsweise "Engeln"), die durch eine angemessene Zeremonie und die Handhabung dieser Siegel beschworen werden können.
Erste Versuche der Umwandlung von Runen in solche, vorzugsweise in einem Zug zu zeichnenden Symbole verliefen zwar vielversprechend, konnten die Teilnehmer der Arbeitsgruppe aber nicht von der Vorteilshaftigkeit einer solchen Vorgehensweise zu überzeugen.
Man wählte schliesslich einen Weg, der weit von der nordischen Herkunft der Runen fortführte, sich aber eng an die kabbalistischen Wurzeln der Westlichen Zeremonialmagie anschloss, indem man parallel zu den bekannten Namen "engelshafter Mächte" wie GABRIEL, MICHAEL, BARTZABEL, KEDEMEL u.a. durch die Hinzufügung der semitischen Silbe "El" die Namen von scherzhaft "Runen-Engeln" genannten Intelligenzen bildete: TIWAZEL, ODALAEL, ANSUZEL, BERKANAEL usw. Die so gebildeten Namen wurden dann in Hebräisch niedergeschrieben.
Wohlgemerkt, das angewandte Verfahren wurde nicht als "Rekonstruktion" begriffen - die Verquickung von kabbalistischem und runischem Gut kann nur als ein neuschöpfender Synkretismus begriffen werden, der zwei Strömungen von Überlieferung vereint und aus den gegenseitigen Beeinflussungen und Interpretationen zu gewinnen sucht.
Von einer kabbalistischen Sichtweise her sind die so neugewonnenen "Engelsnamen" bereits vorher existente Permutationen der durch die 22 Buchstaben des hebräischen Alephbeths bestimmten Schöpfung, und die Nennung dieser Namen kann mit ihnen korrespondierende Geistwesen aus den Heerscharen Gottes herbeirufen. Die äußere Gestalt dieser Wesen kann durch die klassischen Korrespondenzen, die einen jeden der Buchstaben begleiten, die ihre Namen formen, erschlossen werden.
Die runische Sichtweise begreift "EL" (das heisst "AlephLamed") als eine Transposition der Klangfolge "A-L", die im Runischen als Ansuz-Laukaz geschrieben würde, eine Runenfolge, deren esoterische Bedeutung "Göttlichkeit-Lebenskraft" ist. "ALU" z.B. ist eine der bekanntesten und mächtigsten Runenformeln, die generell magische Macht und göttliche Inspiration bedeutet. (Von dieser Formel stammt der alte Name für Starkbier - Ale!) Ein Name, der aus dem klassischen Namen einer Rune und dieser Endung besteht, kann also auch in der Runenmagie als eine Identität und Leben besitzende Materialisation dieser Rune interpretiert werden.
Runenkundige werden schnell darauf hinweisen, dass die kabbalistischen Korrespondenzen der Namen mitnichten denen der runischen entsprechen, die auf eine andere Gestalt des gleichen Wesens hindeuten. Sie haben recht: Die "wirkliche" Gestalt engelshafter Mächte kann auch nicht von menschlichen Augen wahrgenommen werden. In unserem Falle steht sie zwischen den beiden Interpretationen ihrer Namen. Eine Anwendung dieser Methode stellt vor allem eine weitere Vertiefung der Beschäftigung mit Runen auf allen Ebenen der Existenz dar.
Heutzutage würde man dies vielleicht sogar genau andersherum betrachten. Von den ko(s)mischen Krakeln, die durch die Sigillisation von Runenamen entstanden sind, ist mir nicht mehr viel in Erinnerung geblieben. Aber über den Ausdruck, den ich hier eingescannt habe, war mit grüner Tinte eine Binderune gekritzelt, mit deren Hilfe ich eine weitere Vertiefung in die Bedeutungen der Runen auf allen Ebenen erlangt habe, ganz ohne die Heilige Kabbala bemühen zu müssen. Soviel zu den Verdiensten des Synkretismus.
Sicher ist AL, das Monogramm Gottes unter der Zahl 31, eine Formel, die auch in der Kabbala und selbst unter den Anhängern des geheimen Gesetzes, Macht und Wissen verleiht, man braucht aber nicht auf diese Sinnzusammenhänge zusammenzugreifen, um sie im runischen Sinne zu erschliessen.
AL ist eine Formel, die unmittelbar mit ALU (s.o.) zusammenhängt - der Ochse (U) ist der Unterschied, ein Zeichen, das für Materialisation, das Tiefgründige und das Element der Erde steht. Das Göttliche (A) fließt (L) zur Erde (U) herab.
AL ist nichts anderes als die Rune der Gnade und Verzückung - das Herabfließen des Göttlichen - die Inspiration - göttliche Ekstase - das Andere, das den irdischen Verstand berührt, ohne eingefangen und in tönernen Krügen verschlossen werden zu müssen.
Wenn man diese Formel, zusammengefasst zu einer Binderune der Stäbe A und L (siehe unten), neben ein anderes Zeichen schreibt, erweist sie sich als effektiver Schlüssel, um auch in tiefere Bedeutungsebenen der Runen einzudringen.
Durch Meditation über das Zeichenpaar, oder auch durch einen einfachen Trankzauber, bei dem man die Zeichen in ein Holztäfelchen einritzt, auflädt und dann in den bereitstehenden Asen-Met schabt oder tropfen lässt.
Dabei raunt man die weiter oben als "Runen-Engel" bezeichnete Formel: Der Name des Stabes, den man zu erforschen sucht + die AL-Formel. TIWAZ-ÄL, ODALA-ÄL, ANSUZ-ÄL, BERKANA-ÄL... Der Begriff des Engels ist nicht so sinnlos, wie es auf den ersten Blick scheint... Ein Engel ist schließlich nichts anderes als ein Botschafter oder Abgesandter des Göttlichen... die Inspiration, mit derer Hilfe sich die Dunkelheit der Rune erschliessen soll, jedoch stammt auch aus himmlischer Höhe... Soviel zu den Verdiensten des Synkretismus!
Einfach mal ausprobieren... vor vielen Jahren haben mir diese Experimente immer sehr viel Freude gemacht...
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