Montag, 25. Juli 2005

Geschichten aus der Gruft [2] Hi and lo

Bei meinem nächsten Fundstück handelt es sich um eine Art Textmeditation aus dem Jahre 1989. Ich kann jetzt wirklich nicht mehr sagen, was mich dazu gebracht hat, sie zu tippen, außer daß sie auf dem Manuskript den unspektakulären Titel "Hi" trägt, so wie "she gets hi..."

Für die Veröffentlichung hier habe ich ihr einen etwas spektakuläreren Titel gegeben, was der ganzen Geschichte auch gleich noch geschickterweise einen tieferen Sinn gibt... Ach, was bin ich für ein schlauer Hund...



DIE LIEBE LUZIFERS


Sie standen am Ende der Welt, Arm in Arm, die Gesichter zu einem verschlossen. Seine Zunge erforschte ihr Innerstes, seine Kühlen Finger betasteten zögernd und gierig zu gleich das geschwollene Silber ihrer bleichen Haut, fuhren durch das dichte Netzwerk des zerzausten braunen Haares, krampften sich in die geschwungenen Konturen ihres Körpers. Seine blasse Zunge drang tief in ihren Gaumen, fuhr über ihre blinzelnden Augen, bohrte sich in das Rosa ihrer Ohrmuschel. Sie weinte.

Sie standen am Ende der Welt, und der Regen fiel in ihre Gesichter.

Er verstärkte den Druck, presste ihren langen, aber irgendwie zerbrechlich erscheinenden Körper an sich und in dem Maße, wie er sie gegen seine Brust drückte, klammerte sie sich an ihn, versuchte ihr Gesicht in seiner Halsbeuge zu verstecken. Das weiche Wasser ihrer hervorquellenden Tränen sickerte langsam über seine erhitzte Haut, verlor sich in dem Gekräusel seiner Brustbehaarung und zerschmolz, bevor es seine Lenden erreichen konnte.

Weit im Westen verfärbte sich der Horizont blutrot. Die Wolken sahen plötzlich so aus, als ob sie zu brennen beginnen würden. Blendendes Scharlachrot mit ein paar Tropfen zufiel Blau, irgendwo dazwischen grelle Lichtspeere von giftigem Neongrün. Ein großer Wind kam auf und brachte den Geruch des Todes mit sich.

Er schüttelte den Kopf, um die Tränen aus seinen Wimpern zu vertreiben, presste die Lippen zusammen und barg ihr kleines Gesicht in seiner Hand, ihre Augen vor dem Ansturm des roten Lichts schützend. Die Schmerzen begannen sich in seinem ganzen Körper auszubreiten, sein Blut brannte, aber er ließ es nicht den verschwindenden Zauber dieses Augenblickes zerstören.

Mit einer matten Bewegung unter ihrem Kinn hob er ihr Gesicht zu seinem empor und legte seine zitternden Lippen auf das blasse Rosa ihres sterbenden Mundes. Ihr Herz schlug noch gegen seine Brust, aber sie hatte längst schon zu atmen aufgehört.

Er liebte sie. Er würde sie immer lieben.

Sie standen am Ende der Welt, und der Regen fiel in ihre Gesichter. Aber sie ließen es sich nicht nehmen, diesen letzten Kuss, bevor der Boden unter ihren Füßen zu brennen begann und der donnernd herankreischende Sturm mit seinen Eisfingern zupackte und sie mit sich nahm, in die Leere fegend.

Ihr Haar vermischte sich mit dem schwelenden Himmel, als sie in das Nichts stürzten, rot, Scharlach, flammenfarben, aber selbst das irrlichternde Inferno ihres Untergangs vermochte sie nicht schöner zu machen als in dem Augenblick, da sie zuletzt in seinen Armen gelegen hatte.

Er schloß die Augen und legte die Flügel an.

Die Leere umfing ihn mit blinden, warmen Kiefern.


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