Freitag, 29. Juli 2005

Geschichten aus der Gruft [4] Einseitiges Vergnügen

In den guten alten Zeiten, als es soetwas wie DTP und Satzprogramme noch nicht gab, hatte man nicht viele Möglichkeiten, die erforderliche Seitenzahl zusammen zu kriegen, wenn die Hauptstory zu kurz war.

Sicher, ein paar Illustrationen halfen, aber die kosteten Geld. Und irgendwann waren auch alle möglichen Werbepartner erschöpft. Was also machen, wenn einem eine Seite fehlt? Man schreibt schnell noch eine Story, um die Seiten vollzukriegen!

Ein kurzer kreativer Erguß – nicht zuviel natürlich, damit alles auf eine Seite paßt! Dieses Tricks bedienten sich die Redaktionen so verdienstvoller Publikationen wie den "Blutigen Pulps" der 30er und den "Blutigen Comics" der 50er recht erfolgreich. Man könnte es schon fast ein Genre nennen – der arg begrenzte Platz gibt die Form vor. Kann man große literarische Wunder erwarten? Nein! Höchstens, daß die Seite mit einer Pointe endet. Meistens eine ironische. Kein Wunder also, daß sich diese Geschichten alle irgendwie ein wenig ähneln.

Ungefähr so ähnlich sollte der geneigte Leser auch den nachfolgenden One-Pager aus dem Jahre 1985 betrachten: Kein großes literarisches Wunder, endet mit einer Pointe, die auch kein großes Wunder ist – und man kriegt die Seiten voll. Wie bereits angekündigt, vollkommen unverändert (d.h. es ist nicht besser geworden), außer daß in dem Text jetzt Absätze gemacht wurden. Puh.



DER FORSCHER


Mein Name tut nichts zur Sache.

Aber das wichtige ist, daß ICH es war, der die GROSSE ENTDECKUNG machte.

Sicher, es klingt seltsam, wenn ich selbst es sage, aber niemand anderes hätte das Genie gehabt, das man brauchte, um diese wohl die Geschichte verändernde Entdeckung zu machen.

Nur ein Genie wie ich, mit der Hirnkapazität einer ganzen Universität, hätte ein solches Projekt überhaupt nur erahnen können.

Über den Aufbau der Apparatur will ich hier nichts verraten, denn Neider und Narren gibt es überall, und die Menschen hier sind sehr unfreundlich zu mir, denn ihre Spießergeister können nicht das Genie ermessen, das in meiner Entdeckung und in meinen Enthüllungen verborgen liegt.

Es geschah am 21.5. des Jahres 1939, als ich endlich meine GROSSE ENTDECKUNG in Betrieb nahm und mir den Mentalwellenprojektor über den Kopf stülpte und auf die Reise in ferne, zukünftige Gefilde ging. Schlicht gesagt funktioniert meine geniale Erfindung so: Der Geist des Zeitreisenden wird in das Unterbewusstsein eines anderen Wesens projiziert, das nicht einmal der gleichen Zeitstufe angehören muß.

Denn ich entdeckte, daß alle Bewusstseine auf mystische Weise verbunden sein müssen.

So reiste ich in die Zukunft, während 40.000 Volt in dem herrlichen von mir ersonnenen Helme summten. Um mich herum vergingen in endlosen, monotonen, grauen auf- und abschwappenden Wellen die Zeitalter. Summend und vibrierend führten die Energien meiner Entdeckung mich wie ein Vater sein Kind führt, durch die Äonen.

Und summend, und grau und auf- und abschwellend vergingen grau die Zeitalter. Und dann - ja, dann, in einem mir für alle Zeiten eingeprägten Moment, hatte ich Kontakt!

Johnathan MacCarwynn sprach zu mir, ein Magier des 26. Jahrhunderts, und er war verblüfft darüber, daß ich, ein fremder Geist, in seinem Geist existieren konnte. Doch hielt er mich für einen Dämon, bis ich ihn über meine Identität aufklären konnte. Da war er noch viel mehr erstaunt.

Doch als ich ihn nach seinem Zeitalter befragte, konnte er mir nur Kunde geben davon, daß ein großes brittanisches Reich zu seiner Zeit herrsche, nachdem im Jahre 2075 A.D, ein ungeheurer Krieg bisher ungekannten Ausmaßes die Erde mit brennenden Bomben verseucht hatte.

So floh ich das 26. Jahrhundert, immer weiter in die Ewigkeit fallend, und schon wenige Momente - Minuten - Äonen? hatte ich neuen Kontakt.

Und während ich Kontakt hatte, sog ich immer mehr Daten in mich auf, sog Daten und Namen in mich auf, die gesamte Geschichte der Menschheit erlebend.

Und immer wieder hatte ich Kontakt, fiel weiter nach vorne in die Zukunft hinein, äonenlang, und immer wieder hatte ich neuerlichen Kontakt, während um mich herum 40.000 Volt ihr summendes Hexenlied brausten und mich durch die Äonen jagten, durch Zeitalter, deren Existenz außer mir kein Mensch erahnen kann auf dieser Welt.

Der hundeschädelige Prinz Caeynyrr des 39. Jahrhunderts, wenn ein von Tiermenschen regiertes Kaiserreich ganz Eurasien umfassen wird - Der Arzt Haenkles Yuggalith, der gegen die außerirdischen Invasoren kämpft, die im Jahre 7252 vom Sirius herabfallen werden, einem weißen Regen formloser Schleimballungen gleich, Leukomorphen genannt - Der Krieger Aeridanus, der im 146. Jahrhundert gegen die Wikinger des Planeten Fafnir kämpfen wird - und der Meister der magischen Mächte, Khaekhan Erhkha, der im 218. Jahrhundert die Smaragdfürsten aus der Wüste von Texas anführen wird, sie alle waren Hirne, mit denen ich während meines Sturzes durch die Jahrtausende in Kontakt treten konnte. Herrliche, unnachahmliche Weisheiten wurden mir zuteil, während ich die Unendlichkeit erlebte.

ICH weiß, wie die Zukunft aussehen wird.

Aber wahrlich, eins stimmt mich traurig: Daß die hartblickenden Männer dieser abscheulichen Institution mich nun gepackt haben und in einen Raum geworfen haben, der keine Fenster hat und mit Gummi ausgelegt ist.

Schwester, warum muß ich, das GENIE, diese seltsame Jacke tragen?


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