Ich habe drei Tage lang ein großes Stück Papier an die Tür geklebt, um darauf Konzepte zu kritzeln, die ein wenig Ordnung und Integration in die vielen Ideen bringen sollen, die ich mit mir herumschleppe. Eine umfassende Zusammenstellung von Information und Begründungszusammenhängen für ein größeres Vorhaben. „Meinen Kopf aufräumen“, so erkläre ich es den Kindern. Das passt vielleicht besser. In meinem Kopf trage ich so viele Personen und Verantwortlichkeiten herum, dass die Schubladen langsam am knacken sind. Die vergessenen Welten meiner Kindheit, die Posen und Poseure, und natürlich die künstlerischen und künstlichen Masken, die ich für jede Unternehmung anzufertigen pflege. Meine Ritualmasken, genannt ‚Das Grosse und das Kleine Ich“. Selbst mich langweilt diese Menagerie langsam, das ist wohl das Resumee der letzten drei Tage. Aber ich brauche auch dieses große Stück Papier an der Tür nicht.
Schlauere Menschen als ich haben darauf hingewiesen, dass Selbstverwirklichung ein grundlegendes Bedürfnis des Menschen ist, an letzter oder höchster Stelle neben allen anderen. Heißt das, dass man ‚glücklich’ sein muss, oder befriedigt, um sich selbst verwirklichen zu können? Was heißt schon wirklich? Immerhin, C.G. Jung, dieser grosse Alchemist, hat darauf hingewiesen, dass der Mensch in der zweiten Lebenshälfte um die Integration abgespaltener Persönlichkeitsanteile bemüht ist. Hoffen wir, dass dies nicht allzu wörtlich gemeint ist, ich hatte durchaus vor, älter als 80 zu werden…
Integration ist sicherlich ein wichtiges Thema, und gerade für jemanden, der mit der Pose des Künstlers liebäugelt und Zeit seines Lebens einer gewissen ‚kreativen Schizophrenie’ anhängt. Oder haben Sie vielleicht allen Ernstes geglaubt, dass es immer der gleiche Mensch ist, der diese Zeilen schreibt? Ich kenne ihn recht gut, und manchmal erkenne selbst ich ihn kaum wieder.
Leider wollen die meisten psychologischen Lehren einem vorschreiben, was man zu integrieren hat, und sie werfen flink mit Schlagworten um sich, die „das Andere“ erklären wollen. „Schatten“, „Anima“ etc. sind interessante Konzepte, wenn man Konzepte benötigt. Ein Konzept ist aber bestenfalls ein Hilfsmittel, ein Plan, ein Programm für ein Vorhaben, eine Blaupause für das, was man bauen will. Und man sollte nicht den Bauplan mit dem Bau verwechseln. Immerhin, wir wohnen nicht in unseren Konzepten, sondern in dem, was wir mit unseren Konzepten, durch unsere Konzepte und oft genug auch trotz unserer Konzepte erbauen.
Kann man Integration erreichen, und sein Selbst verwirklichen, wenn man sich mit Konzepten umgibt? Wenn man eine Projektion abspaltet? Ich sehe das eher als paradox – wenn man sich um Einheit bemüht, macht es wenig Sinn, schnell noch ein paar Doubletten zu erzeugen. Und deswegen habe ich es in den letzten drei Tagen auch vermieden, ein neues endgültiges Konzept zu entwickeln, das ich wiederum künstlich am Leben erhalten müsste. Stattdessen gehe ich schulterzuckend weiter, was zurückbleibt sind Ideen, die nicht virulent genug waren, um sich selbst fortpflanzen und verbreiten zu können. Und ein zusammengeknüllter Blatt Papier mit nur ein paar Worten darauf.
Das Alte Multiversum ist tot.
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