Dienstag, 29. Mai 2007

Lakritz und Gurken

So wanderte ich also durch die dämmernden Vorstädte, das Haupt gesenkt und voller Gedanken, als plötzlich ein älterer Herr von der Theosophischen Gesellschaft aus dem Gebüsch sprang und mir die Mündung einer .45er an die Schläfe drückte.

„Auf ein Wort, Herr Gruner“, raunte er, und ich spürte seinen Vegetarieratem mit mildem Druck in meiner Ohrmuschel. „Man kommt nicht umhin, den verächtlichen und deprimierenden Tonfall zu bemerken, mit dem sie die Welt kommentieren. Wo ist die Schönheit abgeblieben, wo der Optimismus, wo das den Menschen Erhebende? Ich glaube, Sie hängen zu oft mit tibetischen Dämonisten ab.“

„Ja, aber…“, begann ich, aber der sich schlagartig verstärkende Druck des kalten Metalles auf meiner Haut ließ mich verstummen.

„Haben Sie schon mal an die heilende Kraft des Mantras gedacht?“

Ich blinzelte mir die Tränen aus den Augen. „Bitte was?“

„Ein heiliges Mantra kann auch sie wieder auf den rechten Pfad führen und Ihnen Harmonie und Frieden verleihen, Herr Gruner“, sagte der alte Mann, und seine fein manikürte Hand zitterte voller Begierde. „Sprechen Sie mir einfach nach:

Om Tryambhakam Yajamahe
Sugandhim Pushtivardhanam
Urvarukamiva Bandhanan
Mrityor Mukshiya Maamritat.“

„Ich kann Ihnen nicht wirklich folgen“, murmelte ich. „Nichts gegen Sanskrit, aber für mich klingt das alles nur nach Lakritze. Was genau soll das bedeuten?“

In diesem Moment blickte ich wahrscheinlich dem Tode ins Angesicht. Der alte Mann zitterte am ganzen Körper, sein eines Auge kniff sich zusammen, und ich wusste, dass er erwägte, mir das Hirn mit einem nebensächlichen Zucken des Zeigefingers aus dem Schädel zu blasen.

Dann trat wieder Klarheit in seinen Blick, und er leckte sich die Lippen.

„Ja, ähem, ja, also man könnte das so übersetzen… das ist natürlich eine sehr freie Übersetzung, und lässt die Feinheiten vermissen… (räusper) Om – wir verehren den dreiäugigen Siva, der wohlriechend ist und alle Wesen ernährt. Möge er uns vom Tod befreien und uns dazu reif machen, zur Unsterblichkeit zu gelangen, genau wie eine reife Gurke von der Pflanze abfällt.“

„Ohja, das erklärt ja wirklich alles. Ich fühle mich schon viel besser.“

„Tatsächlich?“

„Nein. Gurke? Erschieß mich.“

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