Freitag, 16. März 2007

Mythos :: Der Hyperborea-Zyklus


Eine andere – aber nach der Nomenklatur ebenso valide – Form der Erklärung findet sich in der vorwissenschaftlichen Sprache einer pseudohomerischen Theogonie oder Stammfolge eines Göttergeschlechtes unter dem Titel „Der Stammbaum der Götter“ im Nachlass von Clark Ashton Smith, der seine Aufzeichnungen hier auf einem Pergament des hyperboräischen Propheten Pnom basiert. Während die Mythen des 20. Jahrhunderts bemüht waren, die außerkosmische Infiltration unserer Wissenschaft in einen naturwissenschaftlichen, astrophysikalischen oder relativistischen Kontext zu stellen, benutzt Pnom die grundlegende Vorstellung von Familie, um diese Phänomene zu ordnen. Dieses andere Paradigma gewährt ungewohnte Einsichten in die Mechanik der den Mythenzyklen zugrunde liegende Phänomene – Einsichten, die unangenehm nahe gehen, ohne auf philosophische Realitätskonstrukte zurückgreifen zu müssen.

Der Uranfang, Azathoth, das Nukleare Chaos, ungezeugt und ungeboren, gesichts- und geschlechtslos, erschuf die erste Generation der Grossen Alten durch Kernspaltung, doch als sein Nachwuchs die Äußeren Planeten betrat, nahmen sie androgyne oder bisexuelle Eigenschaften an. Unter diesen ersten Wesenheiten war Cxaxukluth, ein eingeschlechtliches oder androgynes Wesen, das aus sich selbst die ersten deutlich einem einzigen Geschlecht zuordenbaren Wesen erschuf, so Hziulquoigmnzhah und Ghisguth. (Einer Theorie des Pergamentes von Pnom gehörte auch der Grosse Cthulhu dieser Generation der Grossen Alten an.)

Hier scheint ein generationsbedingter Trend hin zu wachsender biologischer Komplexität zugrunde zu liegen, der erst in der Einheirat dieser Linie in die ersten halbmenschliche Bevölkerung der Erde ein Ende finden sollte – ein Anpassungssyndrom. Dies bedeutet auch, dass was wir als die Grossen Alten kennen, nichts anderes als die Nachkommen und Spiegelungen der Fleischgewänder sind, die diese praeterdimensionalen Wesenheiten annehmen mussten, um mit den Wesen dieser Dimensionen zu interagieren. Die wirkliche Natur der Grossen Alten liegt im Dunkeln, da nicht dieser Dimension zugehörig. Dies mag auch eine Erklärung für die chimärenhaften Formen sein, in denen die der irdischen Dimension weiter entfernteren Grossen Alten Gestalt anzunehmen versuchen. Je weiter der irdischen Bühne entrückt sie sind, desto abstrakter sind für sie die Biologie und Naturgesetze dieser Welt.

Der Legende nach weilten Hziulquoigmnzhah mit seinen Verwandten auf dem Planeten Yuggoth am Rande des Universums, bevor sie sich den kannibalistischen Nachstellungen Cxaxukluths durch Flucht entziehen mussten. Der Legende nach führte die Auswanderung die Grossen Alten über das System von Xoth. Aus dem dunklen Stern Xoth war ein Wesen namens Ycnágnnisssz entstanden, das durch Kernspaltung seine Tochter Zstylzhemghi erschuf, die Matriarchin des Schwarmes, die Mutter des Grossen Tsathoggua (Sadogowah) werden sollte. (Dies erscheint auf den ersten Blick widersprüchlich, wenn man den Aufzeichnungen glauben mag, dass Yuggoth identisch ist mit dem Kleinplaneten Pluto. Da jedoch andere Quellen davon berichten, wie die Äußeren Lebewesen, krebsartige schwammhafte Lebewesen, die Brut von Yuggoth, seltsame Götter – die Grossen Alten – zur Erde mitbrachten, mag hierin sehr viel mehr Bedeutung liegen, als der erste Blick offenbaren mag. Einer unüberprüften Theorie des Autor zufolge mag es sich bei den im Mythos ausgeführten Planeten nicht unbedingt um physikalische Himmelskörper, sondern um psychische oder astrale Stationen handeln, die der Erde – dem materiellen Universum – in zunehmender Nähe benachbart liegen. Hier finden sich dann erschreckende Ähnlichkeiten zu einigen der Kosmogonien, die die gnostischen Sekten zu Anbeginn der christlichen Zeitrechnung aufgestellt haben.)

Hziulquoigmnzhah kam über Yaksh (Neptun) nach Cykranosh (Saturn), einige Äonen bevor sein Neffe Tsathoggua ihm nachfolgen sollte. Tsathoggua selbst, der dunkle, träge Gott des Nordens, ist der Spross von Ghisguth und Zystulzhemgni. Er gelangte über den Saturn zur Erde, und nahm seine Wohnstatt in den lichtlosen Kavernen von N’Kai auf, wo er in einem beständigen Halbschlaf abwartet. Auf der voreiszeitlichen Erde wurde er von den vormenschlichen Bewohnern Hyperboreas verehrt, die ihn in einem Lager unter dem Berge Voormithadreth wähnten. Ihm wird in der Legende von Pnom eine Gefährtin namens Shathak zugesellt, der sein Kind namens Zvilpogghua (Ossadagowah) geboren wurde, der auf Yrautrom im Algolsystem ruht. Aus diesem Bereich stammt vielleicht auch die formlose Brut Tsathogguas – polymorphe Wesen aus schwarzem, zähflüssigem Schleim – die dem schlummernden Gott in den Legenden dienen. Verschiedene Hinweise deuten darauf hin, dass diese Wesen aus dem Sternensystem Kythanil stammen, und der Erde ebenso fremd sind wie der Gott, den sie verehren.

Tsathoggua scheint sich nie zu rühren, selbst hungrig erwartet er, dass die Dinge zu ihm kommen, als dass er sich bewegen würde. Tsathoggua ahmt hier aber auch auf beklemmende Weise die innere Natur seines Urahns Azathoth nach, der im Inneren des äussersten Chaos reglos im Schlaf der Äonen vom Flötenspiel unmenschlicher Diener eingelullt wird. Er ist – wenigstens symbolisch – Azathoths irdische Inkarnation, ein Avatar der Äussersten Finsternis. Und doch hat er irdische Gestalt angenommen, so sehr, dass sein Fleischgewand im Gegensatz zu dem seiner Verwandten mit den Naturgesetzen nicht im Kampf zu liegen scheint. Sicherlich ist auch Tsathogguas Gestalt im Kerne noch plastisch und polymorph wie die aller Inkarnationen der Grossen Alten, aber doch schon soweit an die irdische Dimension angepasst, dass seine Nachfahren sich mit den vormenschlichen Bewohnern Hyperboreas vermischen konnten und auf Erden wandelten. (Und – wenn die Bevölkerung des Alten Hyperboreas Gelegenheit hatte, sich mit den nachfolgenden Menschentypen zu vermischen – es vielleicht heute noch tun?)

Tsathoggua ruht träge in der Finsternis, im Unterbewusstsein des Planeten Erde. Seine Geschichte jedoch deutet daraufhin, dass dieses träge Äußere nur täuschend friedlich ist und die wahre Natur Tsathogguas nicht einmal erahnt werden kann, solange er nicht vollständig erwacht ist.

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