Am Freitag, den 01.09..2006 hatte ich die Ehre, an einem steinzeitlichen Monument in der Nähe des Nordland Things eine altgermanische Zeremonie zu veranstalten – oder jedenfalls das, was man aus den bestehenden Quellen und etwas Inspiration rekonstruieren kann. Folgendes Handout hatte ich zur Information für alle Interessenten an dieser Art experimenteller Ärchäologie bereitgestellt:
------------------------------------------------------------
Der Bunsoher Schalenstein wird seit 15 Jahren für magische Zeremonien genutzt und ist mit einer gewaltigen Ladung versehen. Wir weisen darauf hin, daß die Teilnahme an Ritualen an diesem Platz für sensitive Menschen u.U. mit extremen psychosomatischen Effekten einhergehen kann. Die Teilnahme erfolgt grundsätzlich auf eigene Gefahr hin.
Der Schalenstein, der über einen von Buchen und Eichen überwachsenen Weg zu erreichen ist, strahlt seine Kraft in einem weiten Umkreis aus. Er verbirgt sich in dem geöffneten Grabhügel, und erst im letzten Moment vor dem Erreichen des Steins offenbart er sich in seiner ganzen Pracht. Dieser magische Ort hat über die Jahrtausende nichts von seinem zauberhaften Flair verloren, und er ist ein Quell unendlicher irdener Kraft.
1874 wurde dieser vorgeschichtliche Grabhügel ausgegraben. Dabei wurde ein vollständig erhaltenes Großsteingrab der Jungsteinzeit (ca. 3.500 v.Chr.) freigelegt. Drei riesige Decksteine liegen auf acht Trägersteinen, die Zwischenräume waren mit Steinplatten, sogenannten Zwickel, abgedichtet, der Boden der Kammer mit knopfgroßen Steinen gepflastert und durch neun senkrecht in den Boden gestellte Steinplatten in vier Bereiche unterteilt. Keramik und Flintgeräte wurden als Grabbeigaben gefunden. Der westliche Deckstein ist der interessanteste Schalenstein in Schleswig-Holstein und gilt als größter Kultstein Europas. Auf ihm sind über zweihundert von Menschenhand geschaffene Motive und Vertiefungen zu entdecken, wie ein vierspeichiges Rad (frühe Form der Swastika), flache Rillen, paarweise angebrachte Handbilder, die Darstellung eines Fußes und viele Schälchen.
(von der offiziellen Webseite des Nordlandthing 2006)
Das am Bunsoher Schalenstein veranstaltete Ritual basiert zu weiten Teilen auf einem alten nordeuropäischen Brauch, den man Sumbel nennt. Für diese Form eines auch für Gruppen geeigneten Rituales haben wir uns entschieden, um dem Ort und seiner langen Geschichte, aber auch dem gesamten norddeutschen Raum mit seinen heutzutage fast vergessenen Traditionen Respekt zu erweisen. Das Sumbel (altnordisch sumbl; altenglisch symbel, altsächsisch sumbal) ist vereinfacht gesprochen ein ritueller Umtrunk bzw. ein rituelles Trinkgelage einer Gemeinschaft. Natürlich werden wir am Schalenstein uns weder hinlegen („Gelage“) noch bis zur Besinnungslosigkeit vollaufen lassen. Das Sumbel ist ein ritueller Umtrunk, vor allem eine symbolische Handlung – er ist ein „Toast“ auf die übernatürliche Welt, Götter, Ahnen und Zwischenwesen. Die Wortwurzel, aus denen das Wort Sumbel entstanden ist, verweisen ebenfalls auf das griechische Symposium, bei denen Philosophen wie Plato ihre philosophischen und metaphysischen Ideen im Dialog entwickelt haben.
Grob umrissen läuft ein Sumbel wie folgt ab: Es wird im allgemeinem von einem Sumbelgeber (altsächsich symbelgifa) eröffnet, geleitet und beendet die Zeremonie. Für die Teilnehmer bereitgestellt befindet sich ein Kessel, welcher mit Met oder Äl gefüllt ist, den traditionellen Getränken Nordeuropas, also Honigbier/wein und Starkbier. Für das Ritual am Schalenstein wird ein äquivalenter Trank von den Veranstaltern bereitgestellt.
Nach der Weihe des Kessels wird ein Trinkhorn mit dem Trank aus diesem Kessel gefüllt. Anschließend kreist dieses Trinkhorn unter den Teilnehmern des Sumbels wobei es vom sogenannten ealubor (Äl-Träger) weitergereicht und bei Bedarf aufgefüllt wird. Der Äl-Träger darf nicht mit einem Schankknecht verwechselt werden. Er ist dem Symbelgifa an Würden gleichgestellt und hat eine vielleicht noch wichtigere Aufgabe. Während der Symbelgifa nur die äußere Form des Rituals bewacht und ordnet, sorgt der Ealubor für die innere Form und lenkt, sorgt und pflegt den heiligen Frieden und die Ruhe, in der das Sumbel zelebriert wird. (Also auch hier keine Gelegenheit für Orgien im niederen Sinne.)
Ich bin die Schlange, die Wissen & Entzücken und strahlende Pracht schenkt und die Herzen der Menschen mit Trunkenheit schürt. (Al II:21)
In der ersten Runde des Trunkes erfolgt durch das Äußern von Trinksprüchen ein Minnetrinken auf die Götter. Dies ist gleichermaßen ein Zeichen des Respekts, aber auch ein spielerisch-leichtes Wieder-Ein-Finden in eine gedachte mythologische und kosmische Ordnung. Hier wird im Sumbel der Raum erschaffen. In der zweiten Runde gedenkt man den Ahnen, den verstorbenen Vorfahren und Angehörigen, aber auch Freunden und anderen Persönlichkeiten, die als Prüfer, Helfer und Vorbilder am Leben der Teilnehmer Anteil hatten und haben. Hier wird im Sumbel die Zeit erschaffen.
Während der dritten und den folgenden Runden werden von den Teilnehmern Eide geschworen, Gelübde abgelegt und Lieder oder Gedichte zum Besten gegeben. Dies sollte man jedoch nicht mit betrunkenem Prahlen verwechseln. Eide sind bindend, Gelübde zwingend. Im Sumbel wird der Geschichte und dem Schicksal gedacht, damit kommendes Geschick ebenfalls ruhmreich und erinnerungswert ausfällt. Der Legende nach ist die Entdeckung Amerikas durch einen Wikinger auch als Folge eines Sumbel-Gelübdes erfolgt. Man könnte auch sagen, dass an diesem Punkte die Teilnehmer jeder für sich die durch die ersten beiden Runden erschaffenen mythischen Raum und Zeit in Besitz nehmen und mit ihren eigenen schöpferischen Impulsen erfüllen können.
Der Sumbeltrunk wird durch eine alte Binderune „aufgeladen“ oder seiner Bestimmung geweiht. es handelt sich hierbei um eine Verbindung des Runenwortes ALU, das auf der einen Seite eine Verwandtschaft mit dem Wort Äl aufweist (also dem Trunk selbst), aber auch als Zauberwort verstanden werden kann, das das Einströmen eines geistigen Elementes in das materielle Getränk symbolisiert. Der leichte Rausch, der sich während des Sumbels einstellen könnte, sollte also weniger eine tatsächliche Trunkenheit darstellen als vielmehr eine Art „Trunkenheit des innersten Sinnes“.
In diesem Sinne mag das Sumbel trotz seines Alters auch uns heute dienen, Gemeinschaft herzustellen und zu feiern, und aus dem Innersten schöpfend inspiriert zu werden – und selbst zu inspirieren.
(Axel M. Gruner für den Nordlandthing 2006)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen