Donnerstag, 25. Mai 2006

Robert E Howards KULL :: Die Religion von Atlantis (2)


Fortsetzung von Teil 1

Von der ersten Religion der Menschheit erfahren wir nur aus Umwegen. Nicht viel von der Religion dieser ältesten Zeit ist auf uns gekommen, Fragmente, Erinnerungen in den ältesten Sagen, Namen. Wie "Die Spiegel des Thuzun Thune" und "Nur einen Gongschlag lang" zeigen, war zumindest Robert E. Howard mehr an metaphysischen Spekulationen interessiert als an Religion. Religion in den Tagen von König Kull ist nie mehr als archaische Staffage – Namen, Fragmente. Nicht zu unrecht, wenn wir Forlong Dux Thesen folgen, dass zu dieser Zeit noch keine Evolution zu komplexeren Ideen und komplizierteren Riten erfolgt war. Kann man mehr erwarten als die Verehrung einiger weniger Ur-Demiurgen?

Der Baum. Das Lingam. Die Yoni. Die Schlange.

Wir dürfen hier auch nicht den inhärenten, "keltischen" Kulturpessimismus Howards ausser Acht lassen, seine Sympathie für den "Barbaren", seine erklärte Meinung, dass Barbarei der Naturzustand des Menschen sei. Dies zusammen mit der überragenden Erscheinung König Kulls steht in paradoxem Zusammenhang mit okkulten Evolutions- und "Rasse"-theorien, wie sie gerade in Amerika durch sensationelle "Neuentdeckungen" und Artikel in den Sonntagsbeilagen der Zeitungen popularisiert wurden. Howard war sicherlich, wie jeder fleissige Leser seiner Zeit, mit den Schriften der wiedererweckten "Theosophie" und der Lehre von sogenannten "Wurzelrassen" vertraut, die in einem anderen Stadium "geistiger Entwicklung" legendäre Kontinente wie Hyperborea, Lemuria und Atlantis bewohnten.

Es ist nicht verwunderlich, dass diese Ideen zum Zeitpunkt ihrer Popularisierung die Phantasie vieler Autoren entfachten. Der Reiz der Vergangenheit, des Alters der Äonen regte Howard in seiner manischen Begeisterung für Geschichte ebenso an wie seinen Kollegen und Brieffreund Clark Ashton Smith, selbst der große H.P. Lovecraft nutzte die theosophische Psychohistorie als Hintergrund.

Nach der theosophischen Geschichtslehre ging Atlantis nicht auf einmal unter. Der Theosoph W. Scott-Elliot erweiterte dies in "The Story of Atlantis and the Lost Lemuria" (1896) zu einer definitiven Version der Geschichte: So zog sich der Untergang über eine halbe Million Jahre hin, während dessen der Kontinent in eine Reihe von Inseln zerbrach, deren letzte Poseidonis genannt wurde. Der Name "Poseidonis" taucht in antiken Quellen nicht auf, inspirierte Clark Ashton Smith zu einer Reihe von Kurzgeschichten. Da in mindestens einer dieser Geschichten – "The Double Shadow" – sogar die Schlangenmenschen des alten Valusien erwähnt werden, weist darauf hin, dass auch hier die gleiche Historie zugrunde liegt. Der Untergang von Poseidonis erfolgte dann vielleicht während des zweiten von Howard beschriebenen Kataklysmus, der den Eurasischen Kontinent zu der Welt formte, durch die der Cimmerier Conan streifte. Dies korrespondiert tatsächlich recht genau mit dem in theosophischen Schriften präferierten Datum von 9.564 v. Chr. (Poseidonis war jedoch nicht das einzige Überbleibsel Atlantis', dessen Zivilisation sich zu diesem Punkt bereits recht weit verbreitet hatte, und an einigen abgelegenen Orten (Bal-Sagoth, Negari) bis in historische Zeiten überdauern konnte.)

Dass Howard dies das "Hyborische" Zeitalter nannte, nach Hyperborea, ist ein Irrtum – nach dem theosophischen Geschichtszyklus lag die hyperboreanische Epoche als erste der "Körperwerdung" weit vor der atlantischen, ca. 200.000 v. Chr., als "es in Europa nur Zwitterwesen gab" (Lovecrafts "Out of Eons"). Nach den Aufzeichnungen von Clark Ashton Smith ("The Door to Saturn", "The Coming of the White Worm" et al.) wurden in dieser nebulösen Epoche Fetische und Zauber überall gesehen. Das Geas war mächtig, und als Gott wurde nur das Fremde und Ungeheure bezeichnet. Verbotene Quellen erwähnen hier Wesenheiten ausseriridischer Herkunft wie Tsathogguah (im heutigen Grönland) und Ghatanothoa (im späteren Mu).

Die erste Religion der Menschheit entstand folgerichtig in der Epoche, die sich aus der Hyperboreanischen entwickelte.

Dies ist nach theosophischer Lehre die Lemurische.

"Lemuria" klingt von allen Kontinenten der Fiktion am Gespenstischsten in unseren Ohren. Man fühlt sich erinnert an die gespenstischen lemures, die Totengeister der römischen Legende, und auch heute noch steht den Eingeweihten das Lemurische für das Halbmenschliche, Vampirische, Gespenstische. Madame Blavatsky wusste von "Drachenmenschen" Lemurias zu berichten – möglicherweise war diese Epoche diejenige, in der sich der Mensch seinen Krieg gegen "Die-Schlange-die-spricht“ führte, die ihn lange Zeit unterjocht hatte? ("The Shadow Kingdom")

Tatsächlich ist der Name Lemuria dem der Lemuräffchen entlehnt, nachtaktiven Halbaffen mit gespenstischen Augen, die über diese Kontinentalbrücke sowohl nach Indien wie nach Madagaskar ausgewandert sein sollen. Die Geologie geht inzwischen davon aus, dass stattdessen Madagaskar und Indien einst einen gemeinsamen Körper gebildet haben und bestreiten die Existenz Lemuriens. In späteren theosophischen Schriften wurde deshalb die Position Lemurias folgerichtig vom Indischen in den Pazifischen Ozean umgedeutet, wo es als Mu wieder auftauchte.

Robert E. Howard ist hier genauer als Geologie und Theosophie: Während „Lemuria“ als die Lemurischen Inseln erscheinen, die auch noch zu Zeiten Kulls existierten und deren Nachfahren die hyrkanischen Völker der Hyborischen Ära darstellen, ist Mu ein mythischer Kontinent im Westen, Sitz der ersten Zivilisation, die annähernd 20 grosse Städte und einige Millionen Einwohner umfasste, bevor sie zu ihrer Blütezeit unterging.

In der unvollendeten Novelle "Isle of the Eons" entwirft Howard ein faszinierendes, aber fragmentarisches Bild dieser Entwicklungsepoche, in der sich viele Elemente nachweisen lassen, die erst in der Thurischen Welt zur vollen Blüte gelangen sollten, und mit dem theosophischen Geschichte konform gehen. Selbst so irrwitzige Spekulationen wie telepathischer Kontakt der Lemurier mit den Delphinen findet sich in Howards Erzählungen gespiegelt: Bei ihm stammten die Lemurier nicht vom Affen, sondern von Seesäugern ab – gleichzeitig ein skurriler Fall von Rassismus, aber auch ein geschickter Seitenverweis auf die Erzählungen seines Freundes Howard Phillips Lovecraft.

Der Theosoph James Churchward datiert den Untergang von Mu in seinem umfassenden Werk zu diesem Thema (The Lost Continent of Mu, The Children of Mu und The Sacred Symbols of Mu u.a.; veröffentlicht 1926–31) auf ca. 60.000 v.Chr. Auch er erkennt Mu als die Urheimat des Menschen, den "eigentlichen Garten Eden". Von hier aus wurde die reine Urreligion und Wissenschaft Mus von den Meistern oder "Naacals" überall verbreitet – vor allem in Thuria (Eurasien), wo barbarische Stämme in ständigem Krieg mit den Überresten nichtmenschlicher Rassen standen. Es ist sicherlich nicht zuviel vermutet, dass die Naacal-Meister hier entscheidende Hilfe bei der Befreiung der jungen menschlichen Rasse leisteten. Der in der Kull-Saga erwähnte Magier-Heroe Rama/Vraama ("The Screaming Skull of Silence") war sicherlich einer dieser Naacal-Meister; es handelt sich vielleicht sogar um den gleichen Muvianer, dessen Namen Churchward im ägyptischen Sonnengott Ra(h) wiederzufinden glaubte.

Dies erklärt, warum die Religion zur Zeit von König Kull auf der ganzen Welt – unter Barbaren wie den Hochkulturen – die gleiche zu sein scheint.

Die Geschichte hat, wenn man Forlong Dux ebenso wie Churchward folgt, aus dieser reinen Urreligion durch Vervielfachung und Rekombination alle anderen Vorstellungen geschaffen.

(Fortsetzung in Teil 3)

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