Mittwoch, 17. Mai 2006

Coulrophobia**

Der Mondbleiche Mann, der lachte :: Zur Ikonographie des Killer-Clowns [Teil 1]

"Es ist etwas Enervierendes am Grinsen eines Clowns, kurz bevor er mordet. Das Weiss der Zähne, gebleckt wie die eines Haifischs oder eines Totenschädels."

Der schrecklichste und zugleich tragischste Clown, und zugleich der mit der grössten ikonographischen Wirkung, stammt überraschenderweise aus einem der unbekannteren Werke des grossen Victor Hugo. „Der Mann, der lachte“ (L'homme qui rit, 1869), ist so etwas wie der hübschere, aber noch schrecklichere Zwilling von „Der Glöckner von Notre Dame“ (Notre Dame de Paris, 1831). Hier wie dort ist die Hauptfigur und Titelheld ein vom Schicksal Entstellter, der jedoch in einer moralisch deformierten Welt die einzig wertvolle Gestalt ist und deswegen tragisch scheitern muss. „Der Mann, der lachte“ ist jedoch gewissermassen noch schrecklicher, auch wenn die Vergleichmöglichkeiten fehlen, da hier nicht ein Geburtfehler die Verunstaltung verursacht wie bei Quasimodo, sondern die Infamie des Menschen. Bei dem Titelhelden Gwynplaine, dem Clownprinzen, handelt es sich um den Sohn eines aufständischen schottischen Fürsten, dem als Kind in einer grausigen Form von Sippenhaftung das immerwährende Grinsen, durch das er definiert wird, ins Gesicht geschnitten wird.

In der 1928 konzipierten Verfilmung durch Paul Leni wird Gwynplaine durch den grossartigen Schauspieler Conrad Veidt dargestellt, der in so unterschiedlichen Rollen wie dem Schlafwandler Cesare in „Das Cabinett des Dr. Caligari“ und dem schurkischen Wesir Jaffar in „Der Dieb von Bagdad“, aber auch als Nazi in „Casablanca“ brillierte. Der Anblick, den er mit Hilfe einer kunstvollen Zahnprothese erreichte, die seine Mundwinkel bis zur Grenze der Erträglichkeit anhob, ist auch heute noch schockierend. Man sieht sofort den Wahnsinn dieses unverschuldeten Schicksals, und wenn Gwynplaine auch nicht der Schurke des Stückes ist, so verkörpert er doch das Grauen, das er selbst erlitten hat. Conrad Veidts durchdringende Präsenz besteht auch heute noch, selbst Photographien von ihm in der Maske des Gwynplaine verstören und erzeugen Unbehagen bei dem Gedanken, dass es durch in der Fähigkeit des Menschen liegt, aus niederen beweggründen seinen Mitmenschen solcherart körperlich und seelisch zu verkrüppeln.

Nach einigen Quellen bestand im Mittelalter eine florierende Industrie in der Herstellung von dem, was man heutzutage Freaks nennen würde, um die Gaffsucht auf Jahrmärkten und den Raritätenkabinetten der Fürstenhäuser zu stillen. Aber auch die Bettlergilden schreckten nicht davor zurück, Kinder und Entführte durch bestialische Verunstaltungen zu lohnenderen Objekten der Mildtätigkeit zu machen. Aber was konnte schlimmer sein als die Kunst der Denetsate, mit der das morbide Grinsen des Todesclowns in die Gesichter Hilfloser geschnitten wurde?


** Coulrophobia ist der in der Psychiatrie übliche Ausdruck, um Angstzustände beim Anblick von Clowns zu beschreiben.

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