Montag, 1. Mai 2006

Robert E Howards KULL :: Die Religion von Atlantis (1)

Es ist ein naheliegender Gedanke, jede Art von geschichtlicher Entwicklung evolutionstheoretisch zu interpretieren. Die Entwicklung zum Besseren und Höheren ist ein weitaus beruhigender Gedanke als der, dass alle Dinge dem Chaos entgegenstreben. Auch in der Religionsgeschichte war es lange Zeit Mode, eine natürliche Entwicklung vom "primitiven" Polytheismus zum "modernen" Monotheismus zu postulieren. Dies lässt sich heute nach Meinung vieler Wissenschaftler nicht mehr verifizieren, stattdessen hat sich eine gesondert phänomenologische Betrachtungsweise innerhalb der wissenschaftlichen Disziplin herausgebildet.

Heisst das, dass es keine Entwicklungen gegeben hat? Nein. Nur die Vorstellung, dass eine Evolution unbedingt endzielbezogen sei – sozusagen eschatologisch – sollte man zurücklegen. Evolution heisst nicht unbedingt Fortschritt, Fortschritt heisst nicht unbedingt Verbesserung.

Wir können in der Evolution der Dinge auch einfach eine Verfielfachung und Rekombination aller Vorherigen Dinge erkennen – eine der Dimensionen von Geschichte. Die erste Rreligion muss nicht primitiver gewesen sein als die moderneren, aber vielleicht war sie einfacher. Vielleicht hatte sie weniger Götter, als uns heute bekannt sind. Und wenn es die erste Religion war, stammen dann nicht alle anderen von ihr ab?

Gerade im 19. Jahrhundert waren solche Überlegungen, hand in Hand mit der antiquarischen Bewegung und dem Wiedererstarken sogenannter "Theosophie" recht naheliegend. Forlong Dux z.B. hat in seinem umfangreichen und leider durch die Forschung grundsätzlich ad absurdum geführten Magnum Opus „RIVERS OF LIFE or, Sources And Streams Of The Faiths Of Man In All Lands; Showing The Evolution Of Faiths From The Rudest Symbolisms To The Latest Spiritual Developments“ (1883), alle religiösen Ideen und Strömungen („Den Strom des Lebens“) auf einige wenige „grobe“ Grundideen zurückgeführt. Nach seiner Ordnung, hübsch nachzuvollziehen anhand eines ein Meter langen Klappdiagramms, basierten die frühesten Formen der Religion – nach einer nebulösen Epoche, in der Fetische und Zauber überall gesehen wurden – auf der Verehrung einiger weniger Ur-Demiurgen:

Der Baum. Das Lingam. Die Yoni. Die Schlange.

In seiner Chronologie der Ereignisse ist diese Epoche amüsanterweise nahe um 10.000 v.Chr. angesiedelt, was in den nur unwesentlich phantastischeren Erzählungen von Robert E. Howard dem Hyborischen Zeitalter, und in der realen Welt dem Übergang von der erdgeschichtlichen Epochen des Pleistozäns zum Holozän, und dem Ende der letzten Eiszeit entspricht. Natürlich wissen wir, dass die wahre Geschichte der Welt viel länger sein muss als ein paar lumpige Jahrtausende. 10.000 Jahre vor dem Hyborischen Zeitalter herrschten bereits die ersten Königreiche des Menschen, und Atlantis war noch nicht versunken: In dieser Zeit, der Zeit der Acht Reiche und König Kulls, 20.000 v.Chr., die in unserer Wirklichkeit dem Brandenburger Stadium des Hochglazials entspricht, müssen also die frühesten Formen der Religion zu finden sein.

Der Baum. Das Lingam. Die Yoni. Die Schlange.

Wir wissen nicht, ob Howard „Rivers of Life“ gelesen hat – dies ist eher unwahrscheinlich – ebenso unwahrscheinlich, daß Forlong Dux Zugang zu den gleichen Quellen des kollektiven Unbewussten hatte wie Howard. Aber tatsächlich finden wir im Thurischen Zeitalter einen Kult der Grossen Schlange, hinter dem sich die gefürchteten Schlangenmenschen von Valusien versteckten – „Die-Schlange-die-spricht“, die die Menschen der Vorzeit lange Zeit unterjocht hatten. Aber auch sie waren nicht das einzige Überbleibsel einer älteren und schrecklicheren Geschichte der Welt, die nicht erst mit dem Aufstieg des Menschen begonnen hat.

Manche der Götter, die in „schwarzen und purpurnen Tempeln“ verehrt worden waren, mögen nicht mehr als vage und grobe Gestalten gewesen sein, die die ursprünglichen Schrecken beschreiben, denen der Mensch in der Dämmerung der Schöpfung entgegentrat – Masken hinter denen sich Fratzen und Schrecken versteckten, die älter waren als die Welt. Sie waren die Relikte vormenschlicher Kulte, dunkel und blutig, die langsam dem Vergessen anheimfielen, als die Rassen, die sie mitgetragen hatten, an Bedeutung verloren.

Der Schwarze Schatten, der Grosse Skorpion und der Schlangengott sind nur drei der vorsintflutlichen Götzen, von denen uns berichtet wird. Wenn sie jemals irdische Gestalt hatten und nicht bloß Fragmente einer Protomythologie waren, so waren sie nicht auf dem jungen Planeten Erde geboren worden, sondern „auf vergessenen Welten und verlorenen reichen der Schwärze, auf gefrorenen Sternen und schwarzen Sonnen, die jenseits des Lichtes irgendeines Sternes vor sich hin brüten“ (The Altar and The Scorpion). Was sich wirklich hinter ihnen verbarg, mögen wir heute nicht mehr zu erschliessen. Der Schwarze Schatten zumindest war ein bloßes Symbol, durch das etwas die einzige irdische Wirklichkeit annehmen konnte, die ihm möglich war: Das Unnennbare.

Diese Götter – und die nichtmenschlichen Überbleibsel der Vorgeschichte, die in ihrem Schlaf der Äonen auf eine Wiedererweckung warteten und sich Götter nannten – waren jedoch nicht die Götter der Menschen. Sie waren das, was der Mensch, der Sklave der Furcht, einen Gott nannte, weil ihm kein besserer Begriff zur Verfügung stand, um sich seiner Ohnmacht versichern zu können.

Die erste Religion, die Menschen schufen oder in sich fanden, hatte ihre Wurzeln sicherlich an der ersten Wiege der Menschheit. Und wenn man den Erzählungen der Vorzeit glauben mag, war die erste bekannten menschlichen Zivilisation, auf der sogenannten Dracheninsel von Mu zu finden

(Fortsetzung in Teil 2)

Keine Kommentare: