"Hinauf auf die Dächer und Türme der Phantasterei, und ohne allen Schwindel, wie geboren zum Klettern – wir Nachtwandler des Tages! Wir Künstler! Wir Verhehler der Natürlichkeit! Wir Mond- und Gottsüchtigen!" (F. Nietzsche: "Die fröhliche Wissenschaft")Es scheint eine Art Wechselbeziehung zwischen der religiösen und der phantastischen Literatur zu geben. Natürlich kann man ironisch anmerken, dass religiöse Literatur sowieso immer einen phantastischen Kern hat – und haben muss! – aber tatsächlich scheinen beide Genres sich gegenseitig zu beeinflussen und zu befruchten. Dies ist das, was man eine Literatur von Ideen nennt, die vor allem durch eine Vervielfachung und Rekombination von Ideen definiert wird, weswegen es vielleicht auch nicht verwunderlich ist, dass man den schlechtesten Stil meist in religiösen und esoterischen Schriften findet, oder in Groschenheften, die ja ebenfalls für ein Massenpublikum geschrieben wurden.
Beides kann als starkes Narkotikum gesehen werden, mit dem der in sozialer und wirtschaftlicher Unfreiheit Gehaltene sediert werden soll, als "Geist geistloser Zustände".
Den Autoren solcher Schriften ihre Wirkung anzukreiden, ist dennoch verfehlt, ein Eskapismus – ob nun in die Arme einer Gottheit oder die Abenteuer des Königs von Valusien – kann durchaus heilsam sein, um den immanenten Druck der Realität verarbeiten und transformieren zu können. Nichts anderes ist die Funktion eines Traumes.
Immerhin ist es sicherlich heilsamer, phantastische Erzählungen zu geniessen, als sich in einer phantastischen Religion zu verlieren.
APHORISMEN
Literatur ist per Definition Eskapismus: Man entflieht der wortlosen Realität in die Architektur der Sprache.
Es kann keine "realistische" Literatur geben; dies zu glauben ist die grösste Fiktion.
Religion und Phantastik kritisieren den Schöpfer: sie rächen sich am Leben mit der Phantasmagorie eines "anderen", "besseren" Lebens. (Nietzsche)
Es ist ein Irrtum, "Phantastik" als Genrebezeichnung zu verstehen – es ist eine Herkunftsbezeichnung.
Religio = Wieder-Verbindung. Mit einem Traum, den ein Phantast auf die lange Reise schickte?
Wir wählen, eine andere Wirklichkeit zu bewohnen, Nachtwandler des Tages.
Dann fürchtet den Tagwandler der Nacht, ihr Mond- und Gottsüchtigen!
Moral als grundsatzliche Verschlechterung der Phantasie, als "böser Blick" für alle Dinge. (Nietzsche)
Umgekehrt: Phantasie als grundsätzliche Verbesserung der Moral, da nicht an die Dinge gebunden.
Ohne Phantasie hätten die Wolken keine Formen.
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