Freitag, 22. September 2006

Die Kröten tanzen! (1)

Der Ort: Die Wildnis nördlich der Großen Bunkerstädte
Die Zeit: Irgendwann im 3. Jahrtausend

Die Beute hatte schon seit einiger Zeit zu kreischen aufgehört und war in ein dumpfes Brüten verfallen. Stumm stolperte sie hinter dem Pferd hinterher, an dessen Sattelknauf sie festgebunden war. Im Westen, schwach gegen den farblosen Horizont sichtbar, brannte immer noch die dahingeduckte Ruine des alten Schlosses.

„Ich werde sie nicht wiedersehen.“

„Wie Du meinst.“

Der Reiter schwieg, und so schwieg auch seine Beute, mit einem hochmütigen, aber verächtlichen Ausdruck auf den bleichen Zügen. Sie stolperte, fiel auf ein Knie und wurde durch ein feuchtes Dickicht dichter Farne mitgezogen, dann kam sie wieder auf die Beine.

„Es ist mein Ernst“, sagte sie und wischte sich mit den gefesselten Händen über die helle Stirn, auf der nun eine Erdspur klebte. „Dieser Abschnitt meines Lebens muß endlich vorbei sein. Ich kann nicht ewig warten!“

„Ich bin mir nicht sicher, daß ich Dich verstehe“, sagte der Reiter, „aber ich bin mir ziemlich sicher, daß es mich auch nicht kümmert.“ Er zuckte mit den Achseln und betrachtete grübelnd die mannshohen Pilzbäume mit ihren buckligen Kappen. An ihrem bleichen Fleisch klebte blaß das Abendrot.

„Du tust nur Deine Pflicht, nicht wahr?“, höhnte die Beute.

Der Reiter drehte den Kopf, musterte den Dahinstolpernden und nickte. „Genau.“

„Mehr erwartet man ja auch nicht von Dir.“

Der Reiter schob die Unterlippe vor, kaute auf ihr und nickte erneut. „Genau.“

„Vielleicht sollte ich nicht wirklich wütend sein“, sagte der Gefangene nach einiger Zeit, mehr zu sich selbst als zu dem Reiter, „vielleicht sollte ich einfach denken, daß ich einen längeren Ausflug gemacht habe, der nun seinem Ende entgegen geht und die Einsichten und Eindrücke, die ich während dieses Ausfluges gewonnen habe, nutzen, um mein weiteres Leben zu bereichern und aus ihnen für den Alltag zu lernen.“

Der Reiter hatte ihm interessiert zugehört. „Ja, das klingt gut.“

Ein rauher Fluch antwortete ihm. „Nein, das klingt blöd! Mach mich schon los, Du gottverdammter Affe!“

Der Reiter stieß ein tiefes Knurren aus und fletschte die Zähne. „Halt Dich zurück, Mann. Persönliche Beleidigungen werden Dich auch nicht freimachen. Du kannst nicht Dein ganzes Leben lang davonlaufen. Außerdem hast Du es lang genug ausgehalten, oder?“

„Ich werde sie nicht wiedersehen.“

„Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie ich Dich das erste Mal gesehen habe, alter Freund. In dieser Zeit warst Du ziemlich oft in ihrer Nähe, ja, man konnte ziemlich sicher sein, daß Du mit ihr oder bei ihr warst. Du saßt in einem Stuhl, blättertest in einem Buch und versuchtest, so hinreißend wie möglich auszusehen, damit niemand merkte, wie ängstlich Du in Wirklichkeit warst. Entweder hast Du Dich auf dieses Buch konzentriert, oder Du hast ihr hinterhergesehen.“

„Ängstlich? Ich?“

Der Reiter lachte rauh. „Angst! Mehr als nur ein schönes Gesicht, eh?“

„Ich kann Dir nicht folgen.“

„Bist Du deswegen fortgegangen - fortgerannt, um genau zu sein? Weil Du Dich endlich freimachen wolltest?“

„Das Leben mit ihr langweilte mich.“

„Es hat lange gedauert, bis es Dich langweilte.“

„Manche Dinge brauchen ihre Zeit.“

„Seltsamerweise scheint sie anders darüber zu denken...“

„Das ist vorbei. Für mich ist es vorbei.“

„Und ich sage Dir, es war Angst.“

Der Gefangene knurrte und zerrte plötzlich an seinen Fesseln. „Dann steig doch ab! Du kannst gerne ausprobieren, wieviel Angst ich wirklich habe!“

Der Reiter drehte sich im Sattel herum und musterte ihn prüfend. „Nein, ich denke nicht, sagte er nach einiger Zeit. Was würde das beweisen? Ich habe Dich lange genug in den Farnwäldern gesucht, in Gegenden, wo selbst ich mich unbehaglich fühlte. Du hast keine Angst gehabt vor den wilden Hunden oder vor mir, oder irgendeinem anderen Schläger, die Angst, die hast Du vor Dir selbst.“

„Vor mir?“

„Einem Teil von Dir, jedenfalls.“

Der Gefangene lachte. „Mit dieser Angst werden wir alle geboren.“

„Scheiße!“ Der Reiter drehte sich um und spuckte ins Gras. Er wischte sich mit dem Handschuh über das struppige Kinn. Er war ein großer Mann; ein langer schwarzer Mantel umschloß seine massige Gestalt. „Die bauen wir uns selbst.“ Er starrte zu den Sternen empor. Sein Name war Peklyntok.

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