Sonntag, 24. September 2006

Die Kröten tanzen! (2)

Der Ort: Die Wildnis nördlich der Großen Bunkerstädte
Die Zeit: Irgendwann im 3. Jahrtausend

Der Mond hing bleich und aufgequollen wie schwerelos in einem blaßvioletten Himmel. Hüfthohes, türkisblaues Büffelgras schwang sacht im Mondlicht. Die stapfenden Hufe des Pferdes und die stolpernden Stiefel des Gefangenen machten kaum Geräusche, der feuchte, dunkle Boden dämpfte jeden Laut, den die Hufe machten.

Peklyntok fühlte sich nur leicht abgelenkt von dem Gerede seines Gefangenen. Tatsächlich genoß er seine leise Stimme; ihr stetiges auf und Ab half ihm, sich auf die Eintönigkeit der Landschaft zu konzentrieren.

„Sie hat mir nicht viel bedeutet, als ich sie das erste Mal sah. Ich dachte damals an andere, ich gebe es zu, und das muß ja auch nicht schlimm sein. Ich habe gerne zugesehen, wie die anderen tanzten, und wahrscheinlich hat sie mir dabei zugesehen, wie ich tanzte. Ich mochte sie, das ist wahr, aber etwas für sie empfunden habe ich erst viel später. ich weiß nicht, vielleicht hat sie auch eher etwas für mich empfunden, und ich habe mich davon anstecken lasen, ja, Liebe ist vielleicht so etwas wie eine Grippe, eine leichte Krankheit, ein Fiebern, das schlimmer wird oder nach drei Tagen verschwunden ist.“

„Dafür würden viele etwas geben“, sagte Peklyntok nachdenklich, so als ob er sich an etwas erinnern würde. Sein Gefangener fluchte. „Wunderbar“, höhnte er, „Wundfieber und Tollwut! Das ist es! Was bist Du nur für ein Mann, daß Du entsprungene Liebhaber einfängst wie davongelaufene Fohlen!“

„Sie hat sich damals wirklich um Dich bemüht. Sie hat überall nach Dir gesucht. Hat Dir das nicht gefallen?“

„Was bedeutet soetwas schon? Woher soll ich wissen, ob es Leidenschaft war oder Langeweile, was uns verband?“ Der Gefangene zog an seinen Fesseln, aber es war eine eher schwache Geste.

„Weißt Du das wirklich nicht?“

„Ich bin mißtrauisch geworden in den letzten Jahren. Vielleicht ist es wirklich so etwas wie Angst, aber ich konnte es mir nicht erlauben, schon wieder in ein offenes Messer zu rennen. Ich habe nicht darauf geachtet. Vielleicht hatte ich damals auch nur Augen für andere.“

„Man kann leicht etwas verpassen, wenn man nur auf das Offensichtliche achtet.“

„Offensichtlich? Es war nie offensichtlich.“

„Dir gefällt das Wort nicht?“

„Mir gefällt gar nichts an allem. Als ich mir dann endlich erlaubte, interessiert zu sein - verdammt, als ich anfing, sie mit anderen Augen zu sehen, und Tag für Tag mehr in ihr entdeckte, so wie man in einem Gemälde mehr sieht, je länger man es betrachtet, desto mehr vergaß ich meine Vorsicht. Was ist das?“

Ein helles, schwirrendes Geräusch lag in der Luft, schwoll noch einen Moment lang an und war dann verstummt. Peklyntok hob die gepanzerte Faust und deutete zum Mond hoch. „Die Kröten singen bei Vollmond. Heute nacht kannst Du sie tanzen sehen, wenn Du Pech hast.“

Sein Gefangener schüttelte den Kopf.

„In dieser gottverlassenen Gegend will ich bestimmt nicht bleiben.“ Er lief weiter hinter dem Pferd her.

„Das war also die Zeit, als Du begannst, Dich mit ihr zu treffen...“, nahm Peklyntok den Gesprächsfaden wieder auf.

„Treffen? Ja, vielleicht. Und doch nicht so, wie man es erwartet hätte. Ich weiß, daß viele andere schneller vorgingen, glatter, aber bei mir und ihr schien es etwas ganz anderes zu sein, wie ein Maskenball, bei dem alle hinter ihren Dominos grinsend ohne Geschwindigkeit und ohne Schwere über das Parkett schweben. So umschwebten wir uns auch. Je mehr ich gab, je mehr ich Vorsicht und Zweifel vergaß, desto mehr schien sie mir zu antworten, aber wenn ich wieder allein war, war ich wirklich allein. Nichts blieb.“

„Es scheint, als ob Du ein Dilemma zwischen Deiner Erwartung und der Erfüllung hättest.“

„Das scheint so“, sagte der Gefangene. „Aber ist das nicht normal?“

„Es gibt nichts Normales in solchen Fällen“, sagte Peklyntok, „Ich habe Männer weinen sehen aus Liebe und lachen sehen aus Unglück. Glück ist ein höchst subjektiver Zustand.“

„Ich habe noch keinen gekannt, der 'Glück' definieren konnte.“

„Ja, das meine ich. Genau wie Liebe...“

Der Gefangene wischte sich mit den gebundenen Händen über seine schweißfeuchte Stirn. Ihm war deutlich anzusehen, wie unangenehm ihm die ganze Unterhaltung langsam geworden war. „Das ist auch nur so ein Wort“, sagte er schließlich, „Ich meine, woher soll man wissen, ob man überhaupt mit Liebe zu tun hat? Wer kann das definieren? Wieviel Verliebtheit sind gleich einer Liebe? Kann man soetwas wiegen, teilen, weitergeben?“

„Wenn man darüber nachdenkt... nachdenken muß... nein.“

„Ich meine, wenn ich mit ihr unterwegs war - in den Singenden Gärten oder sonstwo - dann gingen wir sehr nahe beieinander, fast so, als ob wir zusammen gehören würden, aber das war vielleicht nur für jemand Außenstehenden so -was weiß ich, was sie dabei gedacht oder gespürt hat? Und alle unsere Unterhaltungen, was haben die wirklich bedeutet - hinter den Worten und Gesten? Was denken Menschen wirklich?“

„Menschen denken nicht. Sie reagieren.“

„Ich denke schon. Manchmal, wenn...“

„Das ist kein Denken. Das ist nur eine Art inneres Reden mit sich selbst. Ein Monolog. Und weil der Mensch die Sprache erfunden hat, glaubt er, seine Rede hat eine Form außerhalb seiner selbst. Alles ganz natürliche Reaktionen.“

„Ich glaube nicht, daß ich es mit Gefühlen zu tun habe.“

„Ist es denn ein philosophisches Dilemma?“

„Es ist eine Krankheit.“

„Die Dunkelheit der Seele?“

„Ich will keine Floskeln. Ich will nur raus hier.“

„Ich verstehe!“, rief Peklyntok, „Du hast es nach all dieser Zeit immer noch nicht geschafft, bei ihr zu landen, und Du weißt auch nicht, ob es Dir jemals gelingen wird, und deshalb willst Du weg!“

Der Gefangene fluchte.

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