Freitag, 16. November 2007

Unter dem Brunnen :: Geschnittene Szene

Beim Schreiben von Texten - gerade in Zeiten des Textverarbeitungsprogrammes - überholt sich der kreative Gedanke manchmal selbst. Fragmente, Formulierungen, ganze Szenen fallen unter den inneren Schneidetisch des Autoren, weil sich der Erzählfluß plötzlich in eine ganz andere Richtung wendet. Folgende Szene habe ich vom Boden aufgehoben, die von "Unter dem Brunnen" liegengeblieben ist. Wie bereits erwähnt basiert der Titel "Unter dem Brunnen" auf T.S.Elliotts "The Waste Land", ein Begriff der unmittelbar aus dem Arthurmythos stammt und auch mit Frazers "Goldenem Zweig" zusammenhängt. Einen Augenblick lang hatte ich die Idee, dass ich diesen Themenkomplex - den des Sakralkönigs, der sein Leben für das Land geben muß - auch behandeln müsste...


Fragment "Der Gütige ist frei..." (August 2007)

Die meisten Menschen verschwenden mehr Zeit damit, Schmerzen zu vermeiden als Freude zu gewinnen.

Wussten Sie, dass im alten Italien, am See von Nemi, ein der Mondgöttin geweihter Hain heiliger Eichen stand, dessen einziger Bewohner ein zottiger ungewaschener Mann war, der den ganze Tag – und sicher auch die Nacht – mit gezogenem Schwert einen einzigen auserwählten Baum bewachte. Dieser Mann war der König des Waldes, ein König und ein Mörder, ein Priester der alten Mysterien – der Mysterien des Mondes, des Schwertes, des Blutes. König des Waldes war er geworden, indem er seinen Vorgänger ermordet hatte – und in angemessener Zeit wurde auch er von demjenigen ermordet werden, der ihm nachfolgen würde. Ich bin fasziniert von solchen Kindergeschichten, Sie nicht? In diesen Märchen und primitiven Bräuchen kann man sehr viel Wahrheit finden, einen profunden Kommentar zum Wesen der Natur oder auch dem herzen der Menschen. Rot sind Sie, rot, wenn sie aus der Brust gerissen dem Mond dargeboten werden. Und grün sind die Bäume, deren Wurzeln sich an diesem Blut satt trinken. Die alten Italiener wussten dies besser als diejenigen, die nun ihre geheiligte Insel bewohnen. Der König des Waldes regierte durch Blut und Mord, und er konnte nur solange König sein, wie er stark war, denn wurde er schwach, würde er unter der Sichel des Prinzen fallen und sein rotes Blut das Grün nähren. Eine simple und einleuchtende Lehre, oder? Dem Wald erging es gut, solange der König des Waldes stark war, und auch er lebte nur solange er stark war wie die Eiche, die er im Namen des Mondes, der jungfräulichen Hure, bewachte.

„Der König, der für sein Königreich geopfert wird – eine romantische Vorstellung, nicht wahr? So sind die unreifen Ideen junger Männer, die glauben dass der Künstler für seine Kunst leiden muss und unter den kalten Füssen seiner Muse seinen letzten Atemzug tun muss, um seinem Werk Relevanz zu verleihen, und Tiefe.“

„Wenn die Natur durch menschliche Gesetze beherrscht oder unterdrückt wird, entsteht als Folge das Wüste Land. Und wer die Natur ablehnt, lehnt damit notwendigerweise auch den Geist ab, weil beide ebenso untrennbar sind wie Licht und Schatten.“

„Ist der König verwundet, wird das Land zur Wüste“, schnarrte Angus. „Er muss erneut vom Blut des Grals trinken, um wieder zu erstarken.“

Und wie verträgt sich das mit Vorstellungen vom König der Furcht, dem Herren dieser Welt? Die Seele der ganzen Welt ist zu einem Wüsten Land geworden.

Soll er denn die Erde nicht berühren und die Sonne nicht mehr sehen?

Wovon soll er trinken, um wieder zu genesen?

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