Am Anfang war das Wort. Man kennt das ja, manche Leute können einfach nie den Mund halten und ruinieren eine perfekte Stille mit irgendeiner dummen Bemerkung.
Ein Chor von Idioten, Chaos von Geräuschen: die Kakophonie des Daseins. Der unhörbare Pulsschlag des Universums verloren gegangen im Gewirr durcheinander brabbelnder Stimmen: "Es war einmal…", "Manchmal muss man…", "A ist gleich B…", "Das Gesetz ist...", hoch über allem das schrille Crescendo des Plattwurmes: "Gott! Gott! Gott!"
Schaffen wir so unsere Kultur? Aus den Echos ferner Stimmen? Aus den Gedanken, die schon einmal gedacht wurden, aus wiedergekäuten Ideen und halbverdauten Geschichten? Vielleicht gibt es nichts Originäres mehr, sondern nur noch Homagen: der ultimative Retrolook. In Parallelbildung zu einer primären Quelle kann jede Form von Text, Ritual, System, Religion oder Philosophie in überschaubarer Zeit hergestellt werden. Um offensichtliche Plagiate zu verstecken bedient man sich der gleichen Tricks, die auch der Bühnenzauberer hervorkramt um uns zu überzeugen, daß da ein Kopf schwebt oder ein Elephant unsichtbar wurde: Rauch und Spiegel. (Der Rauch verschleiert die Ränder.) Was nicht passt, wird passend gemacht. So entstehen Moden, Klischees und Korrespondenzen, die Quantifizierung von Erlebtem, um sie in passende Kategoriekästchen ablegen zu können, farblich anzugleichen, ihnen das Originäre zu nehmen. Rauch und Spiegel, die den Elephanten verschwinden lassen.
Wann haben wir das letzte Mal einen Gedanken gedacht, den nicht jemand anderes bereits gedacht hat? Wann einen, den nicht jemand anderes für uns konstruiert hat? Wir sind nicht nur Gefangene einer semiotischen Kausalität, die bis zum ersten vagen Grunzlaut eines aufrechtgehenden Primaten zurückführt. Wir tragen sie auch weiter, grunzend, aufrechtgehend, die gleichen Sprach- und Denkmuster verfolgend, Primaten, geschichtenerzählende Affen. Wir können zwar den Elephanten verschwinden lassen, aber es fehlt uns dennoch das Verständnis für ihn. Er, genau wie die Wirklichkeit, ist zu groß, um sie vollständig in eine unserer kleinen Schubladen verstauen zu können. Der Rüssel hängt noch heraus – und Vorsicht! – er kann uns immer noch packen.
Die perfekte Stille ist ruiniert, der magische Moment verweht. Der Rauch verschleiert die Ränder, aber da ist immer noch ein Spiegel, in den wir hineinblicken können. Beides, der Elephant und der Affe schauen zurück. Die Geschichte, die sie erzählen, offenbart jedoch mehr über den Zuhörer als über das erzählte. Sie kann keinen Anspruch erheben auf Metaphysik, nur auf Semiotik: Schrecken in einer Handvoll Staub, voller Zeichen und Wunder, ohne Bedeutung.
Die Erforschung der Beziehungen von Zeichen zueinander aber ist keine Disziplin der Magie. Sie kann vielleicht förderlich sein, aber nur, um Gespür, Intuition oder Weisheit für die einzelnen Fäden zu entwickeln, aus denen das komplexe Gewebe menschlicher Geschichten besteht. Oder auch, um jedem einzelnen dieser Fäden auszuweichen. Was wir benötigen, so scheint es, während wir durch den Dschungel aus Zeichen und Wundern irren, mit denen wir unsere Nekropolen geschmückt haben, ist ein Schwarzer Prometheus, der erneut dem Himmel das Feuer stehlen kann.
Verbrennt in der Wüste Weihrauch unter den Nachtsternen! Singt das leidenschaftliche Lied!
Da ist ein geflügeltes, geheimes Feuer, das in jedem Herzen brennen kann.
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work in progress No. 42, Vorwort (2005/06) :: Den Text habe ich im Februar '05 angefangen, also kurz bevor es NEMED HOUSE Blog gab. Nach dem ersten Satz und der Sache mit dem Elfanten bin ich ein wenig ins Schwimmen gekommen und habe viel über Korrespondenzkunde geschrieben, weil mich das damals sehr beschäftigte. Seitdem rottete der Text in meinem "In Arbeit"-Ordner. Ich denke, in dieser Form ist er gefälliger. Ein wenig wie ein Manifest, das abends von einem durchgeknallten Künstler an einer brennenden Mülltonne dem Rest der Betonindianer vorgelesen wird. (Was mich auf eine glorreiche Idee bringt... hat jemand eine Mülltonne zur Hand...?)