Sonntag, 2. April 2006

Der diskrete Charme einer scharlachfarbenen Dame (3)


Das Weiblich-Dämonische in Kunst und Religion
- um Fussnoten und Anmerkungen gekürzte Version -

Die Autoren populärer Literatur, ob nun geschriebener oder graphischer, sind selten subtil. Sie bedienen sich bei der Konstruktion ihrer Charaktere gerne kultureller Archetypen und Klischees. Die Scharlachrote Dame ist immer dabei. In hundert Gestalten tritt sie auf, ob als exotische Prinzessin, oder als „Drachenlady“ oder eine Dame namens „Velvet“. Meist ist sie die verführerische und oft widersprüchliche Gegenspielerin des „Helden“, gleichermassen bereit, ihn zu verführen oder zu vernichten, vor allem aber zu verwirren. Sie muss nicht in Scharlach gekleidet sein. Ihre erotische Ausstrahlung ist das einzige Scharlach, das sie braucht. Trotzdem ist sie meistens, wenn schon nicht rothaarig, so doch dunkelhaarig im Gegensatz zur blonden, hilf- und geistlosen Gespielin des Helden.


Eine rühmliche Ausnahme ist die unnachahmliche (dunkelhaarige) Dejah Thoris, eine Prinzessin der rothäutigen Marsianer, die zwar die treue Gefährtin von Edgar Rice Burroughs’ John Carter ist, aber nicht den Eindruck erweckt, dass sie wirklich hilflos ist, egal wie übel man ihr mitspielt. Auf unserer Welt würde man sie trotzdem recht merkwürdig finden, stammt sie doch aus einer Rasse, die nicht nur Eier legen, sondern auch grosszügig auf unnütze Dinge wie Bekleidung verzichtet.

Scharlach ist ein starkes Aphrodisiaka, die Farbe der Erregung.

In manchen Codes ist es sogar ein Synonym für alles Sexuelle.

Künstler oder Propheten scheinen sich der starken Faszination, die von diesem Bild ausgeht, kaum entziehen zu können und müssen es fortsetzen und weitertradieren. Die Farbe der Blutes signalisiert die Verbundenheit mit dem Verbotenen – in Nathaniel Hawthornes gleichnamiger Novelle stigmatisiert „der Scharlachrote Buchstabe“ eine Ehebrecherin, und selbst die Apokalypse des Johannes hebt sein Symbol der Verworfenheit dadurch hervor, dass es sie in ein scharlachrotes Gewand hüllt.

Es ist also vielleicht nicht verwunderlich, dass Stan Lee und Jack Kirby, als sie im 3. Heft der ursprünglichen X-Men-Serie dem Superschurken Magneto in bewußter Parallelbildung zum Team von Professor Xavier eine Gruppe „Böser Mutanten“ hinzugesellten, dem einzigen weibliche Mitglied den Namen „Scharlachhexe“ (Scarlet Witch) verliehen. Wanda Maximoff hatte die Fähigkeit, durch eine bestimmte Geste Dinge zu „verhexen“ – eine eher vage Fähigkeit, die man heute so deuten würde, dass auf irgendeine Weise Wahrscheinlichkeiten manipuliert werden. Dinge geschahen, meist zum Schaden anderer.

Bei einem solchen Namen und solcher Gesellschaft würde man vielleicht eine Art Femme Fatale erwarten, einen Super-Sukkubus, einen erotischen Vampir. Aber tatsächlich war die Scharlachhexe ein eher spröder und keuscher Charakter, dessen einziger Bezugspunkt ihr ebenso spröder und kühler Bruder „Quecksilber“ Pietro Maximoff war. (Da Quecksilber das magische Metall des Merkur ist, ist es vielleicht nicht verwunderlich, dass dies einer der vielen superschnellen Speedster ist, die die grafische Literatur bevölkern.)

Es zeigt die Genialität von Lee und Kirby, dass die Figur der Scharlachhexe dennoch nicht die apokalyptische Perversion verkörperte, die man erwarten würde, sondern eine widerwillige Verbündete, die Magneto nur einer Ehrenschuld wegen beistand. Als Magneto von der Bildfläche verschwand, betrachteten die ungleichen Geschwister ihre Schuld beglichen und kehrten in ihr Heimatland irgendwo auf dem Balkan zurück, nur um einige Zeit später in das zweite Team der „Rächer“ aufgenommen zu werden, wo sie lange Jahre als vorbildliche Helden dienten, obwohl sie nie besonders prominent wurden.

Die Reformation bekam der Scharlachhexe gut – sie verlor ihre spitzen Augenbrauen und schrägen Augen, mit denen Kirby sie als Teil der exotischen Alten Welt Europas kennzeichnete, ihre Oberweite wuchs, und das eine oder andere Mal wurde sie als Plotpunkt missbraucht – irgendjemand musste ja das Alphaweibchen darstellen, um das sich die Alphamännchen balgen. Im Gegensatz zu anderen weiblichen Gestalten blieb die Hexe jedoch ganz unhexisch beherrscht, verlässlich und vielleicht ein bisschen prüde, weswegen man sie nach einiger Zeit eine Romanze mit einem Synthezoiden namens Vision erleben liess, einer künstlichen Lebensform. Keine schlechte Geschichte, so seltsam es klingt – beide Gestalten wurden dadurch ein wenig menschlicher. Gefühle sind eine tolle Sache.

Das Problem ist nur, dass das Bild der Scharlachroten Dame stärker ist als die Fabulierkunst des durchschnittlichen Geschichtenerzählers. Da war eine Hexe, weiblich, in Scharlach gekleidet, Besitzerin von unerklärlichen Kräften, die nicht zu beherrschen waren. Konnte dieses Urbild des Weiblich-Dämonischen etwa mit dem trägen Dasein von Ehefrau und Mutter zusammengebracht werden?

Seitdem ist die Figur der Scharlachhexe unzähligen Mutationen unterworfen worden. Körper, Geist und Seele wurden von dem jeweiligen Autoren nach seinen Bedürfnissen umgemodelt. Dass sie eine Zeit lang ein Kostüm trug, in dem sie aussah wie eine Kartenlegerin einmal beiseite gelassen. Manche Männer schienen sich scheinen sich der starken Faszination, die von diesem Bild ausgeht, kaum entziehen zu können. Immermehr wurde ein verbotener, irrationaler Aspekt verstärkt und ein geradliniger Charakter zu einem Zerrbild des Weiblichen verformt. Im Endeffekt eine über Jahrzehnte geduldete Vergewaltigung eines Charakters, dem fragwürdige Autoren Misstrauen und Verachtung entgegenbrachten.

Die letzte Stufen der Degradation blieb Wanda Maximoff glücklicherweise erspart. Sie wurde nicht geschändet und ermordet, wie andere Comicfrauen.

Stattdessen wurde sie wahnsinnig und zerstörte die Welt.

Keine Kommentare: