Montag, 10. April 2006

James Branch Cabell - Stilistik und Aufruhr

"Tell the rabble my name is Cabell."


Die Kunst der Allegorie ist heute im Allgemeinen in Vergessenheit geraten. Auch Ironie ist an den meisten Fällen an den Zuhörer verschwendet. Stilistische Mittel, die dem Vormarsch des sogenannten Realismus und der Moderne zum Opfer fielen. Dass der heutige Leser solche gedanklichen Dreher und Doppeldeutigkeiten höchsten dann noch erkennt, wenn man ihn mit der Nase darauf stößt und ihn solange festhält, bis er um Gnade winselt, ist sicherlich einer der Gründe, warum weite Teile der frühneuzeitlichen Literatur heute allgemein als unlesbar gelten und nicht mehr gedruckt werden.

Es ist nicht der Autor, der dem Leser etwas Unverständliches vorsetzt, es ist der Leser, dessen Verständnis nicht mehr ausreicht. Während die Autoren des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts sich noch in der vielschichtigen Stilistik des Gentleman-Dichters gefallen konnten, gilt heutzutage besonders der karge und klare Stil als vorbildhaft. Doch wehe!, wo ist hier die Magie geblieben?

Einer der brilliantesten Stilisten und Satiriker der phantastischen Autoren, James Branch Cabell (*14. April 1879 – †5. Mai 1958), war einer dieser aus sich selbst schöpfenden Egomanen, in dessen hintergründigen Gedanken das Schreiben selbst eine Art von Magie war.
Während sein profundes Werk heutzutage fast vergessen ist (die letzte fragmentarische Ausgabe in deutscher Sprache liegt einige Jahre zurück), wurde er zu seiner Zeit von so unterschiedlichen Geistesgrössen wie Mark Twain, Sinclair Lewis, H. L. Mencken, Jack Woodford, Robert E. Howard und sogar Aleister Crowley geschätzt, der es sich nicht nehmen liess, Cabell mit eigenen Manuskripten zu bombardieren, die dieser zwar interessant fand, Crowley und seinen Enthusiasmus ('a world genius of commanding stature.') jedoch ein wenig resignierend zurückwies. In der neueren Zeit haben sich so unterschiedliche Autoren wie Fritz Leiber, Robert A. Henlein, Jack Vance, Larry Niven und Neil Gaiman von ihm inspirieren lassen.

Das Magnum Opus von Cabell, der immerhin etwa 52 Bücher verfasste, ist die auf wundervolle Weise verflochtene Geschichte der fiktiven französischen Provinz Poictesme, die als „Die Biographie von Manuel“ bekannt ist. Manuel, so muss man sagen, ist der legendäre Heroe der Poictesme, auch bekannt als „Manuel der Erlöser“.

Dom Manuel, trotz all der erstaunlichen Dinge, die man ihm nachsagt, war jedoch kein „Held“ im Sinne eines Herkules – oder Kull von Atlantis. Tatsächlich war er, bevor er von der Nachwelt zur Legende hochstilisiert wurde, ein recht gewöhnlicher Schweinehirte und Halunke, der unter dem Motto Mundus Vult Decipi (die Welt will betrogen werden) zu Ruhm und Ehren kam. Eine ungewöhnliche Biographie, vor allem, weil sie auch alle Nachkommen, die aus den Lenden dieses schielende Pseudoheroen stammten, mit einbezieht. Jedes Leben, das auf Manuel basiert, ist ein Kommentar und eine Weiterführung seiner Legende: mal romantisch, mal galant, oft zynisch oder ironisch. Tatsächlich betrachtete Cabell die 18-22 Bände der Biographie von Manuel (je nachdem, wie man sie zählen mag) als ein einziges Werk, das in redigierter Form komplett in den Jahren 1927 – 1930 als die vielgerühmte „Storisende-Ausgabe“ publiziert wurde.

Die Biographie von Manuel gehört zu den Pionierwerken der Phantastischen Literatur. In die feingewobene Pseudohistorie der Poictesme mischen sich unglaubliche Dinge, die Legenden und Romanzen des mittelalterlichen Frankreich, aber auch die Feengeschichten (Märchen), die hier jedoch in einer etwas ungesunderen, gewiss nicht kindertauglichen, originäreren Version erscheinen. Sagenhafte Personen, übernatürliche und unnatürliche Gestalten durchwandeln die Poictesme und die angrenzenden, vielleicht noch phantastischeren Reiche. Es ist dieses magisch-nebulöse, das vielerlei Interpretationen der Geschehnisse ermöglicht, die Cabells Poictesme auch heute noch bereisenswert macht.

Sein berühmtestes Werk, „Jurgen, A Comedy of Justice“ (dt. Jürgen) von 1919 ist eine Art phantastischer Schelmenroman, ebenfalls ein Genre, das vom Wortwitz lebt und deswegen heutzutage kaum noch etwas hergibt. Jurgen ist ebenfalls eine eher fragwürdige Gestalt, der sich davonmacht, sein Glück zu machen und selbst vor dem Himmel und der Hölle nicht zurückschreckt. Immerhin bleibt er sich treu, und weiss die Schönheiten des jeweiligen Landes sehr zu schätzen, und sei es die Frau eines Teufels.

Es ist vor allem Cabells zielsicherem Witz und seiner Doppeldeutigkeit zu verdanken, dass ein Prozess, den „Jurgen“ wegen seines angeblich pornographischen und „obszönen“ Inhaltes verursachte, ergebnislos blieb. Sehr zur Frustration der Kläger, der New York Society for the Suppression of Vice (Gesellschaft zur Unterdrückung des Lasters), die Cabell in einem zusätzlichen Kapitel von Jurgen für die Storisende-Ausgabe unsterblich machte, wo Jurgen von den Philistern der Prozess gemacht wird, unter dem Vorsatz eines gigantischen Mistkäfers. Dies wird die sittenstrengen Herrschaften sicherlich ebenso verärgert haben wie die nonchalante Weise, wie Cabell an Moral und Anstand seiner Zeit vorbeischlenderte, ohne sich aufhalten zu lassen. Ein Spaziergang durch die Sittengeschichte, vielleicht.

So beginnt das 22. Kapitel von „Jurgen“...

In Cocaigne hatte Königin Anaitis einen Palast, dessen ungezählte Kuppeln und Türme milchigweiß über den Wipfeln eines alten dämmernden Waldes ragten, in dem die Vegetation anders als alles war, was von gewöhnlicher Erde genährt wird. So gab es in diesen Wäldern etwa eine Art von Moos zu sehen, das Jürgen schaudern machte. Auf schmalen Pfaden, die gleich grünen Höhlengängen durch das raunende Dämmerlicht des Waldes führten, gelangten Anaitis und Jürgen in einen ummauerten Hof, der mit gelbem Marmor gepflastert war und nichts als die trübfarbene Statue eines Gottes mit zehn Köpfen und vierunddreißig Armen enthielt. Die Darstellung zeigte ihn sehr eingenommen von einer Frau, aber mit seinen unbeschäftigten Händen hielt er noch andere Frauen.

„Das ist Jigsbyed“, sagte Anaitis.

„Ich kritisiere nicht“, erwiderte Jürgen. „Nichtsdestoweniger finde ich, daß dieser Jigsbyed die Dinge zum Extrem treibt.“ Bald darauf passierten sie die Statue von Tangaro Loloquong, und nachher die Statue Legbas. Jürgen strich sich das Kinn, und seine Farbe vertiefte sich. „Nun, ich muß sagen, Königin Anaitis“, meinte er, „daß Eure Plastiken einen ungewöhnlichen Geschmack verraten.“

Einige Zeilen weiter zelebriert die üppige Königin der Cockaigne, dieser altfranzösischen Version des Schlaraffenlandes, dann eine Version des von Aleister Crowley entworfenen Liber XV, des Rituals der Gnostischen Messe, wobei der sorgsam doppeldeutige Symbolismus sogar noch ein wenig seiner mystischen Komponenten gekürzt wurde und in dieser Redaktion teilweise sogar verständlicher erscheint. (Eine deutsche Übersetzung dieser Passagen finden Sie hier >>>)

Ja, in Poictesme verirrt sich der reiselustige Held schnell ins Reich der Allegorie. Nicht, dass er dort glücklicher wird als in der Poictesme der Schweinehirten und zickigen Prinzessinnen. Im Reich der Allegorie sind die Damen alle sehr galant, aber als Verkörperungen von Prinzipien fehlt es ihnen in anderen Belangen an Aufnahmefähigkeit. Wie doppeldeutig man die Allegorien Cabells auch nehmen mag, als brillanter Stilist verbirgt er auch die bittersten Erkenntnisse hinter geschliffenen Adjektiven und die Amoralität der einzelnen Protagonisten scheint den Erfordernissen der Zeit nur angemessen. Immerhin, nur hier begegnet man jener bleichen Dame, dem Sinnbild des Ewig-Weiblichen, und ihrem Begleiter, einem rothaariger Dichter namens Horvendil, der vielleicht der Demiurg dieser ganzen Welt ist. Oder vielleicht auch nur ein wirrköpfiger Dichter auf der Suche nach neuen Stoffen.

Das meistverwendete Zitat von James Branch Cabell ist: "Der Optimist erklärt, daß wir in der besten aller möglichen Welten leben, und der Pessimist fürchtet, daß dies wahr ist."

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