Sonntag, 7. August 2005

Liliput :: Der Mensch schrumpft – das Insekt wächst.

"And crawling on the planet's face
some insects, called the human race"

(Richard O'Brien: The Rocky Horror Show)


Ein immer wieder auftauchendes Thema – selbst in diesem Blog – ist Liliput, und das, was man vielleicht "Ungeziefer Mensch" nennen könnte. Der Mensch und seine Umwelt außer Proportion, entweder ins Riesenhafte verzerrte oder zur Unbedeutenheit verkleinert. Dies ist nicht nur der Horror des Atomaren Zeitalters, sondern eine Erfahrung und ein Gleichnis, das in unserer modernen (Städte-)gesellschaft immer wieder auftaucht.
Unsere Städte sind inzwischen sooft mit einem Ameisenhaufen verglichen worden, daß dieses Bild in das kollektive Unbewußte geschlichen ist. Das Insekt hat unsere Wahrnehmung des Mitmenschen und des Selbst infiziert.
Sind wir Menschen, die davon träumen, Ameisen zu sein – oder sind wir Ameisen, die davon träumen, Menschen zu sein?
Die Städte sind summende Haufen hektischer Betriebsamkeit geworden. Datenverwertung in den Fütterkammern der heranwachsenden Maden, das Individuum aufgesogen in der Masse der marschierenden Kolonnen, unbedeutende Zwerge im Schatten gigantischer Mächte. Und manchem mag es scheinen, daß er dem Druck der Großen Welt hilflos ausgeliefert ist, und lebt in Furcht davor, daß er eines Tages vom Schicksal zermalmt wird wie eine Ameise unter der Schuhsohle...
Dies ist eine Wahrnehmung der Wirklichkeit, deren Horror wir gewöhnlich erfolgreich verdrängen.
Aber können wir sie verdrängen, wenn uns Horror die Wirklichkeit wahrnehmen läßt?
„Die 50er Jahre sind hervorzuheben durch ihre Manifestation kollektiver Existenzangst. Einerseits sind die geprägt von geheimen Invasionen, Infiltrationen und Infektionen gesichtsloser fremdartiger Systeme – das außerirdische Äquivalent der kommunistischen Fünften Kolonne – andererseits wird weltweit die Angst vor der Ausrottung und Verseuchung durch die Atombombe in einer Flut von immer destruktiven und oft gigantischen Mutationen manifestiert. Wir sehen hier in einer scheinbar heilen Norman Rockwell-Gesellschaft die existentielle Angst vor der Realität immanenter Versklavung und Ausrottung. Eine Existenzkrise, die jedoch nur über Stellvertreter (wie in Stellvertreterkrieg) ausgetragen wird. Die globale und doch persönliche Bedrohung durch feindliche Supermächte gebiert den Daikaiju, das gewaltige Ungeheuer, das blind alles zertrümmert, das in seinem Weg liegt.“ (Die Terra Arcana-Papiere)

Das scheint nicht nur eine Formel des Horrorfilmes der 50er zu sein, sondern liegt auch einem Großteil der Fantasy und der Comics Anfang der 60er zugrunde (und so verraten sie wiederum eine ihrer Hauptquellen): Hier wimmelt es von gefährlicher, aber nicht näher definierter „Strahlung“, die Menschen verändern, verzerren und ins Groteske mutieren lassen.
Gerade Marvel hat diese Formel bis zur völligen Abnutzung gebraucht, und es ist vielleicht nicht verwunderlich, daß ein stattlicher Anteil der ersten Generation ihrer Superhelden dem sexuellen Fiebertraum eines Lepidopterologen entsprungen zu sein scheint...
Der Ameisenmann...
Die Wespenfrau...
Der Spinnenmann...
Der Hornissenmann...

Doch halt! Dies sind Helden! Wie können so winzig kleine Personen das Normalgroße besiegen, das für sie natürlich ebenso riesenhaft sein muß, wie für uns Normalsterbliche das Monströse und Abseitige, das unsere Welt zu beherrschen scheint... oder die gigantischen Insekten und Spinnen, die die rücksichtslos aus dem Ruder laufende Wissenschaft unaufhaltsam erzeugen zu müssen scheint?
Das, meine Lieben, ist die Botschaft der Hoffnung, der metaphysische Optimismus, der dem (Super)Helden zugrundeliegt.
David fällt Goliath.
Und wird zum König gesalbt.

Keine Kommentare: