Sonntag, 15. Mai 2005

Nordlandfahrer

Ich reise nach Norden...

Das Weiß der Landschaft, die mich zu allen Seiten umgibt, scheint endlos zu sein und weist alle Farben zurück. Ich weiß nicht mehr, wie ich zu dem Wagen gekommen bin, der mich über das ewige Eis trägt. Eine langbeinigere Abart von Eisbären zieht den Wagen mit gleichmäßiger und überraschend hoher Geschwindigkeit. Die eisenbeschlagenen Räder des Wagens sind an Kufen befestigt, die aus dem polierten Elfenbein eines Tieres bestehen, das schon vor Jahrtausenden ausgestorben ist. Kleine Eiskristalle glitzern auf jeder Oberfläche.

Ich reise nach Norden, wie bereits zuvor. Aus dem Raum heraus, aus der Zeit.

In der Einsamkeit kann niemand sagen, wie lange die Reise dauert. Es gibt kein Maß, keine Richtung, keine Perspektiven in den endlosen Öden, in der Leere; nur die weiße Kälte, die alles Leben erstickt. Der Wagen trägt mich voran durch die zeitlosen Felder aus Eis, und kleine Eiskristalle glitzern auf allem, was ich fühle, berühre oder sehe. Die Temperatur sinkt beständig dem Absoluten Nullpunkt zu, alle Energie kommt zum Stehen, und selbst die Zeit erstarrt am Rande der Unendlichkeit. Und so reise ich nordwärts, durch diese bewegungslose Landschaft, die sich niemals ändern wird. Alles bleibt Eis, von nun an bis in alle Ewigkeit.

Mit jeder Meile, die ich zurücklege, schwinden die Bilder, und die Namen verlöschen. Auf glitzernden Feldern aus Eis tanzen die Töchter des Frostriesen nackt unter den Bändern des Nordlichtes. Ganze Kontinente sind in den Schneewehen versunken, über die mein Weg führt. Thule, Hyperborea, Cimmeria, Lomar... Ihre Namen verklingen und werden vom Sturm mitgenommen, der mein Kommen kündet, und das Vorüberziehen des Wagens... Die Länder der Sagen, die verlornen Länder, die glitzernden Felder aus Eis... All das lasse ich hinter mir zurück, wie Erinnerungen an jüngere Tage. Nun gibt es nur noch die Strenge des Alters, den Abgrund, der sich vor mir am Ende meiner Reise auftun wird.

In dem Himmel über mir steht eine kleine, matte, rote Sonne. Dies ist die Erde am Ende eines langen Lebens. Alle Feuer sind verloschen, und zu Eis geworden. Es gibt nur noch den Weg nach Norden, in die Dunkelheit, in die Stille, dorthin wo einsame Sterne kalt und unveränderlich in die Leere starren. Wo alle Gesänge enden. Wo alle Bewegung innehält.

Ich reise nach Norden. Zu einem Ort, den kein Sterblicher betreten kann.

Die eisenbeschlagenen Räder des Wagens schlagen Funken auf den Feuersteinen meines Weges. Doch alle Feuer sind verloschen in den endlosen Öden, die alle Farben zurückweisen. In der Dunkelheit. In der Weiße. In der Leere, die alle Bewegungen erstarren läßt.

Die Töchter des Frostriesen starren nackt und unveränderlich in die Leere. Der Wagen zieht über das ewige Eis mit gleichmäßiger und überraschend hoher Geschwindigkeit. In dem Himmel über mir steht ein kleines Licht.

Dies ist die Erde am Ende eines langen Lebens, matt und zu Eis erstarrt. Die Stille erstickt alle Farben, und die Bänder des Nordlichtes tanzen vor den einsamen und kalten Sternen. Es gibt nur noch den Weg nach Norden, wie bereits zuvor. Der roten Sonne zu, die schon vor Jahrtausenden gestorben war.

In die Dunkelheit. In die Weiße. In die Leere.

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