Freitag, 25. November 2005

Planet X :: Im Reich der Archosaurier

(Aus den Reisebeschreibungen einer fremden Welt)

Die Fauna und Flora dieses Planeten war ganz anders als die Erde – und doch sehr ähnlich, denn beiden lagen die gleichen Gesetze zugrunde, die die Entwicklung der Arten und ihre Ausbreitung in den verschiedenen ökologischen Nischen regulierten. Dies war keine Phantasiewelt voller fleischfressender Riesen, obwohl es auch von diesen eine Menge gab. Aber auch hier reichte die Futterkette herab bis zu den Aasfressern und den Pflanzenfressern, in einem teilweise erstaunlichen Artenreichtum, der verschiedene Grundformen auf aberwitzige Weise variierte und vervielfältigte. Im Schatten der urzeitlichen Pilzwälder und den Gehegen der primitiven Koniferen, Arakarien, Schachtelhalme und Bärlappgewächse, vor allem aber der gigantischen Farne, wimmelte es von heimlichem und immer wieder unerwartet hervorbrechendem Leben.
Das Landleben entsprach ungefähr dem Entwicklungsstadium der irdischen Trias, die einen Zeitraum von 225 bis 190 Millionen Jahren vor der christlichen Zeitrechnung eingenommen hatte. Wie auf der Erde waren die am weitesten entwickelten Landlebewesen, neben den Insekten und den insektoiden Riesenungeheuern – T’chmeer von den Eingeborenen genannt – reptilienartige Wesen. Aber während auf der Erde die urzeitlichen Reptilien oder Archosaurier sich einerseits zu echten Echsen, auf der anderen Seite zu den Vorfahren der Dinosaurier und Vögel entwickelt hatten, war die Entwicklung hier anders vor sich gegangen. Die Archosaurier hatten nicht, wie auf der Erde, längere Hinterbeine entwickelt, die etwas mehr unter den Körper gestellt waren, und so schließlich gelernt, auf dem Schwanz balancierend, aufrecht zu gehen. Sie waren zum großen Teil auf ihren vier Beinen stehen geblieben. Auf diesem Planeten war die Verteilung von Wasser und Land umgekehrt als auf der Erde, und das Leben hatte schon früh lernen müssen, in den Dickichten der Urwälder voranzukommen. Die wenigen Reptilienartigen, die auf den Hinterbeinen liefen, waren aggressive kleine Fleischfresser, die in Rudeln jagten. Die meisten anderen schienen direkte Verwandte der Krokodile zu sein, die sich auf der Erde ja ebenfalls während der Trias entwickelt hatten, auf dem Urkontinent Pangäa, an den Ufern des Tethysmeeres.
In den Süßwassermeeren und Flüssen gab es kleinere Archosaurier, die mehr Eidechsen ähnelten und an Land relativ unbeholfen mit seitlich gespreizten Beinen herumkrochen. Im Wasser jedoch waren sie recht flink und geschickt, wobei ihnen vor allem auch die langen, peitschenartigen Schwänze halfen. Größere Verwandte stapften zwischen den Pilzdächern herum. Sie waren Pflanzenfresser und ähnelten eher dem schwer gebauten Shansisuchus der Erde, oder dem flachen und langgestreckten Stagonolepsis.
Und dann gab es noch verschiedene Arten kurz- und langbeiniger Krokodilartige, die teilweise recht erstaunliche Längen erreichten. Sie hatten eine vergrößerte Schrittlänge als ihre Verwandten, da sie gelernt hatten, ihre Gliedmaßen aus den Schultern und Hüften zu bewegen, statt wie die Kriecher hauptsächlich aus den Ellbogen und Knien.
Nicht alle sahen so harmlos aus wie der Protosuchus, das Urkrokodil, das man in den Triasschichten Nordamerikas gefunden hatte.
Einige hatten die keilförmige Schädelform der Krokodile in überlange Schnäbel verwandelt, die von dolchartigen Zähnen starrten, und bei einigen hatten sich auf dem höckerig gepanzerten Rücken gefährliche Stachel entwickelt, so dass sie mehr kleinen, agilen – und umso gefährlicheren – Ankylosauriern ähnelten. Ich glaube, sie waren an das Leben sowohl im Wasser wie an Land angepasst, denn ihnen entging selten ein Opfer.
Sie waren natürlich – bis auf eine Ausnahme – allesamt Fleischfresser.
Und fürchterliche Räuber.    

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