Donnerstag, 30. August 2007

Unter dem Brunnen :: Nachwort

Eine autographische Skizze

„Unter dem Brunnen“ ist kein neues Werk, auch wenn ich vor ein paar Tagen erst die letzten Sätze geschrieben habe. Das heißt nicht, dass ich bei diesem Werk nie zum Schluss gekommen bin – ganz im Gegenteil. Der Schluß – das Ende – ist unausweichlich und das war es immer. Nur habe ich diesen Roman inzwischen schon dreimal geschrieben – hoffen wir, dass es nunmehr, nach den Ergänzungen und Kürzungen der letzten Tage, das letzte Mal ist.

Entstanden ist „Unter dem Brunnen“ zum ersten Mal irgendwann Anfang der 90er Jahre des vorhergehenden Jahrhunderts – wahrscheinlich 1992, aber da gehen die Meinungen auseinander. Damals war es noch eine relativ einfach konstruierte Geschichte von einem jungen Schriftsteller, der in einer neuenglischen Kleinstadt auf vormenschliches Erbe trifft. Eine von vielen Hommagen an die Werke von H.P. Lovecraft und Clark Ashton Smith, die ich damals schrieb, angeregt von T.S. Elliotts großartigem Prosagedicht „The Waste Land“ (das Wüste Land), das auch den scheinbar so unspektakulären Titel inspirierte. Der hilflose Held und das ‚transkosmische’ Grauen gehörten damals zu den Themen, die mich interessierten. Unter anderem. Ich hätte natürlich auch eine einfache Hommage an Lovecraft schreiben können, dann wäre dort unter dem Brunnen wahrscheinlich die geheime Kirche von Shub-Niggurath und ihren tausend Jungen aufgetaucht, oder die protoplasmischen Städte der Shoggothen. Stattdessen ließ ich Motive aus einer meiner juvenilen Fantasyserien auftauchen, die wohl mehr als alles andere Fritz Leibers Geschichten um Fafhrd und den Grauen Mausling ihre Existenz verdanken. Cyprian Moncleef traf also damals auf die Überbleibsel des Schwarzen Lemuria (eines Kontinents, den die Wissenschaft schon lange in die Phantastereien der Theosophen verbannt haben). Insgesamt war die Geschichte also etwas einfacher und kam mit weniger Ideen aus. Vielleicht hätte man an diesem Punkt innehalten sollen – die Probleme, die das Verfassen einer solchen Geschichte in der guten, sauberen (!) Pulp-Tradition darstellen, sollten ja eigentlich ausreichend sein.

Stattdessen überkam mich ein paar Jahre später die großartige Vorstellung, dass die Geschichte eigentlich größer sein sollte. Zu dieser Zeit neigte ich auch eher zu so genannten ‚literarischem’ Horror, nicht zu so unschuldigen Vergnügungen wie sabbernden tentakelköpfigen transkosmischen Monstrositäten. Man könnte sagen, dass aus dieser Grundhaltung alle eigentümlichen und sicherlich manchmal auch unangenehmen Elemente der Geschichte entstanden – teilweise schrieb ich auch, um mich selbst zu erschrecken. (Schreiben muss manchmal wehtun, und damit meine ich nicht nur blutende Fingerkuppen!) Es war kein Exorzismus, nicht im eigentlichen Sinne des Wortes – die bösen Geister, die sich in die Geschichte einschlichen – der erste Weltkrieg, Louie Bancroft, die Bruderschaft und natürlich auch Cyprian Moncleefs psychosexuelle Abnormalitäten – wurden nicht ausgetrieben (ich selbst habe solche Neigungen nur in zu vernachlässigendem Masse), sie wurden erschaffen. Ich baute mir ein paranoides Universum zusammen, in dem ich selbst nicht leben mochte. Nicht mehr das unschuldige Leiden des hilflosen Helden von Lovecraft, eher die psychologische Folter des schuldigen Helden bei Clive Barker, der aber dennoch wohlig schluchzt, wenn man ihn bei lebendigem Leibe häutet. (Wie gesagt, in dieser Art Universum möchte ich nicht leben.)

Auf der anderen Hand versuchte ich die Abnormalität der Personen durch eine detaillierte und historisch akzeptable Umwelt auszugleichen – die gesamte Stadtgeschichte und der Stadtplan von Kingston stammt ebenfalls aus dieser Zeit, mitsamt seiner Umgebung. Ein detailliertes, paranoides Universum – sowohl Al Capone als auch Aleister Crowley und die Kennedys tauchen bloß als eher unwichtige Nebenfiguren auf. Und dies gibt tatsächlich auf eine düstere bösartige Weise Sinn. Selbst die großen Gestalten der Geschichte sind nur Spielfiguren, die von unsichtbaren Mächten verschoben werden. Allerdings wusste ich im Gegensatz dazu nicht, als ich das erste Mal von Preacher’s Rock schrieb, was es mit diesem ominösen Prediger auf sich hatte. Solche Sachen ergeben sich am Ende von allein. Ein bösartiger Teil des Unterbewusstseins hat irgendwann so viele Hinweise und Anspielungen gegeben, dass die unausweichliche Schlussfolgerung offen da liegt. Ähnlich ist es mir später noch einmal ergangen – den Abschnitt, indem Louie Bancroft gefoltert wird, zu schreiben, kam mir schon bald nachdem ich „Unter dem Brunnen“ das zweite Mal geschrieben habe. Warum jedoch diese Szene wichtig war, merkte ich erst, als Henoch Fogerty in seinen Monolog ausbrach. Dennoch kann ich nicht sagen, dass seine Offenbarungen als Überraschung kommen würden. Hätte es anders sein können?

Man mag es als etwas affektiert erachten, das größte Schreibvergnügen habe ich bei den historischen Anspielungen und Hintergrundinformationen empfunden, die dieses Werk würzen. Viele basieren übrigens auf realen Tatsachen, wie unglaubwürdig sie auch klingen mögen. Ich hoffe jedoch, dass es sich dennoch um ein anderes Universum handelt: Leben mag man in ihm nicht, auch wenn es ein amüsantes Exerzitium war, es zu erschaffen.

(Den gleichen Gedanken hat Gott wahrscheinlich auch manchmal, wenn er diese andere, größere Welt betrachtet.)

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