Dienstag, 11. Oktober 2005

Splatter 101 :: Set und Setting

Merken diese armen Seelen denn nicht, dass sie sich in einem Film befinden?
Der Textcursor auf dem Bildschirm, wo das Drehbuch entsteht, ist wie die Klinge, die sie hetzt.
Können sie denn nicht aus diesem Albtraum erwachen!?

Wir wollen diesen armen Seelen keine falschen Hoffnungen machen. Natürlich gibt es kein Erwachen. Das Drehbuch folgt festen Regeln. Es gibt keine Ausnahmen. Diese Puppen existieren nur zu unserem Vergnügen, und unser Vergnügen ist es, sie möglichst spektakulär geopfert zu sehen auf dem Medienaltar.
Schau wie sie tanzen auf der Bühne unseres eigenen düsteren Puppentheaters!
Sie lachen, sie weinen, sie atmen, sie sterben, Insekten in einem Alptraum, aus dem es keinen Ausweg geben kann, bis die Leinwand sich wieder erhellt.
Der Zuschauer aber wird durch die Magie des Drehbuchautoren zum Halbgott. Unsichtbar schwebt er über dem Geschehen, sicher, der einzige zu sein, von dem er weiß, diese Nacht überleben zu können.

* * *


Es ist darauf hingewiesen worden, dass Splatter nichts anderes ist als die Fortsetzung des blutigen Grand Guignol-Theaters des 19. Jahrhunderts. Tatsächlich steht es in einer langen ruhmreichen Reihe mit allerlei schrecklichen Spektakeln, bei denen die Zuschauer ihre eigenen Getränke und Popcorn mitbringen konnten, angefangen von öffentlichen Hinrichtungen bis zu den Spielen der Kreisliga.
Wie haben wir gelacht, wenn sie am Galgen mit des Henkers Tochter tanzten! Wie sie strampelten! Welch lustige Gesichter sie machten! Und tief in uns waren wir erleichtert, dass wir es nicht waren, die man in die Höhe gezogen hat, oder?
Heute haben wir das gleiche Vergnügen, aber sicherer und sauberer. Wir müssen nicht mehr fürchten, dass uns das Blut der Hingerichteten ins Auge spritzt – es wird die Leinwand nie verlassen. Und der widerwärtigste Geruch, der der Hinrichtung folgt, ist bestenfalls der des haarigen Typen neben uns, der in seinem Popcorn wühlt und langsam das Fett von seinem zuckrigen Daumen lutscht.
Dies ist ein anderer Aspekt des „Standard Horror Plot Grab Bag“. Das Drehbuch ist das Gesetz, und das Gesetz hat sein Urteil gefällt. Begnadigung gibt es nur für die, die sich die Sympathien des Autoren und des Zuschauers mühsam erworben haben.

Gilt es nur noch den Henker zu wählen, der das Urteil ausführt.
Wie im Mittelalter durch eine Kaputze, ist auch der Splatter Henker durch eine Maske oder Deformation ausgezeichnet, die ihn als Mitglied einer der folgenden Kategorien ausweist: Psychopathen, Monster, Mutanten, Ausserirdische, Geister, Werwölfe, Vampire, Mumien, Zombies und/oder inzüchtige zurückgebliebene Hinterwäldler. Kombinationen mehrerer dieser Möglichkeiten eröffnen zusätzliche Möglichkeiten und lassen die standardisierte Splatter Formel frisch und unverbraucht erscheinen.
Warum nicht einmal statt eines weißgesichtigen Psychopathen die untoten Mumien einer ganzen Dynastie inzüchtiger zurückgebliebene Hinterwäldler auftreten lassen? Vielleicht des Guten ein wenig zuviel, aber sicherlich werden diese interessantere Monologe improvisieren können, als die hirntoten Exkremente eines immer wiederkehrenden High School Deppen. „Die Toten sind hungrig, Professor, immer hungrig...“

Tatsächlich müssen wir uns bei der Konstruktion dieser Gestalt – des Täters für seine bereitstehenden Opfer – ein wenig mehr Mühe geben, um ihm Charakter und eine gewisse Art Charme zu verleihen. Der Henker ist nicht Teil der Handlung – er ist die Handlung. (Und manchmal isst er sie auch... hahaha.)
Sicherlich hat er seine Vorlieben, die ihn dem zuschauer ans Herz wachsen lassen. Gerade gewöhnliche Gegenstände können recht originell eingesetzt werden, um die Liste der Opfer nach und nach abzuhaken. Hier sollte die Phantasie auch uninteressante Möglichkeiten ins Mythische überhöhen. Eine zusätzliche Zahnreihe kann hier schon überzeugen, oder Klauen, an die noch zusätzliche Klingen geschweisst wurden.
Und selbst wenn es nur ein gewöhnliches Messer ist, ist es sicherlich ein besonders großes. Und sicherlich ist es auch kein gewöhnlicher Stich oder Schnitt, der diese Fragen abschließt, sondern eine originelle Komposition aus verschiedenen Verletzungen und Verstümmelungen. Enthauptungen eignen sich hierbei immer gut ab abschließendes Argument und sorgen unter den bis jetzt Überlebenden für regen Gesprächsstoff. Natürlich kann man auch den kompletten Körper entsprechend vorbereitet auf der Bühne aufgespießt zurücklassen, am besten dort, wo man ihn nur nach einem entsprechenden Shockmoment entdeckt und das Werk würdigen kann.
Wie gesagt, dies ist eine einfache Formel für so eine Geschichte. Jeder kann sich seinen Film selbst ausdenken, wann immer ihm danach ist. Ein reines intellektuelles Spiel, eine unschuldige Entladung des Schuldgefühles, am Leben zu sein. Da muß man sich nichts bei denken, wann immer er das Verlangen spürt... das Küchenmesser!
Matt im Licht des zunehmenden Mondes.

Wie man sieht, ist es recht einfach, ein ausreichendes Personal für Splatter zu versammeln. Mischen wir also die Karteikarten, schauen wir in die Innereien, und schicken wir unsere kleinen Puppen hinein in ihre Welt, aus der es kein Entkommen gibt.
Wie sie strampeln! Welch lustige Gesichter sie machen! Und tief in uns sind wir erleichtert, dass wir es nicht waren, die man in die Höhe gezogen hat, oder?
Das Spiel beginnt. Es wird eine dunkle und stürmische Nacht sein.
Vielleicht scheint der Mond und wird den See oder den Wald erhellen, an dem sich eine der vielen Jagdszenen abspielen wird. Das sind gute Bilder, und hier wird rein visuell erzählt. Im Mondlicht soll Blut fast schwarz aussehen...
Vielleicht werden unsere Püppchen sich in ein Haus retten können oder sich sogar in einem versammeln, in der irrigen Meinung, dort sicher zu sein. Aber sie irren, sie kennen das Drehbuch nicht, sonst wüssten sie, dass der Strom in dem Moment ausgehen wird, und alle Leitungen tot sein werden, in dem der Henker das Haus betreten hat.
Sie können rennen, aber sich nicht verstecken.
Es wird auch mindestens eine Szene geben, in der sich alle erschrecken werden, auch der Zuschauer, wo aber absolut nichts Schlimmes geschehen ist.
Eine Katze springt aus einem Schrank, etwas fällt runter, jemand kommt überraschend zur Tür herein.
Täuscht euch nicht. In dem Moment, wo ihr erleichtert aufatmet, steht der Henker bereits hinter euch.
Matt im Licht des zunehmenden Mondes.

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