Samstag, 27. Oktober 2018

Flash Fiction :: Jenseits aller Träume

Wenn der Herbstwind weht, kommt die Erinnerung wieder, und das weinfarbene Laub auf den stillen Straßen wird neu gemischt. Ein Orakel, die Karten eines unvollständigen Tarotspiels: Kannst Du in ihnen die Zukunft lesen, oder die Vergangenheit?

Die Erinnerung ist bruchstückhaft, die Trümpfe seltsam verändert. Dies sind die Blätter, die man die Großen Arkana nennt, die großen Geheimnisse, das Verborgene: „Der Turm in Ruinen“, „Der Lächelnde Tod“, „Der Engel der Tränen“ und „Das Seltsame Äon“.

Noch tanzen sie auf den stillen Strassen, bevor der Wind sie mit sich trägt, um ein neues Muster zu werfen, für einen Augenblick, für eine Ewigkeit.

Du bist diese Wege bereits zuvor entlang gegangen, entlang der nebelverhangenen Ruinen der Zeit. Die Tage stehen im Zeichen des Skorpions, die Sonne hat die Fetisch-Uniform des Pluto angelegt; an dem erhobenen Stachel zittert ein einsamer, schimmernder Tropfen Gift, der magische Spiegel: Kannst Du in ihm die Zukunft lesen, oder die Vergangenheit?

Bald wird aus dem Stachel Plutos die Sichel Saturns, dicht angelegt an der Kehle des Tages. (Eine Ader pocht unter der rostigen Klinge, zittert unter dem unglaublichen Gewicht der Zeit.)

Du kannst meditieren, du kannst beten; du kannst rennen, aber du kannst dich nicht verstecken. Der Herbst steht hinter Dir: ein bleiches Gesicht, eine fahle Form im Nieselregen. In der Finsternis über uns eine erhobene Klinge.

Dann ein Blitz, der Regen bringt.

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