Donnerstag, 11. Oktober 2018

Das Grauen in meiner Schublade

Wie lange ist es her? Wie lange müssen wir noch so leiden? Wie lange werden diese Männer mit den silbergrauen Bärten uns noch mit Geschichten aus Zeiten quälen, als es noch nicht mal ein vernünftiges Smartphone gab und man seinen Twitteraccount noch in Holz schnitzen musste? Das Grauen... das Grauen... das Grauen in Schublade X. Ich selbst, ich mich, ich selbst quäle den letzten Buchstaben, die letzte noch so dürftige Zeile, die zu finden ist.

Warum tue ich mir das nur immer wieder an?

Das Grauen: Früher einmal, liebe Kinder, gab es soetwas wie eine Maschine, mit der man schreiben konnte. Man nannte dies eine "Schreibmaschine", und meistens kam sie aus den Olympiawerken in Roffhausen, bei Wilhelmshaven. (Siehe Ghost Town Photography in diesem Blog, die Welt ist klein.) Mit dieser so genannten "Schreibmaschine" konnte man über eine Art Keyboard veranlassen, dass kleine Metallbuchstaben ein farbgetränktes Band gegen eine auf einer Art Walze aufgespanntes DinA4-Blatt Papier drückten und somit einen Abdruck dieses Buchstabens hinterliessen. Voll kompliziert, und voll altmodisch. Allerdings konnte die Datei (das Blatt) nicht einfach so verschwinden, wie z.B. die vier Entwürfe jeden Blogartikels, den die Fnords fressen, bevor er endlich von den Googletechnikern freigegeben und hochgeladen wird.

Und das ist das Problem: Wie soll man all diese toten Bäume entsorgen? darf man das überhaupt noch? Ist das nicht zeimlich pietätlos, dieses Opfer nicht wertzuschätzen, das für die fahrigen Fantasien vieler Sommernachmittage aufgebracht wurde? Wieviel Ries liegen hier wohl begraben... im Grauen meiner Schublade? (Ries ist ein tatsächlich existierendes Wort und beschreibt eine Menge von momentan 500 Blatt Papier). Schublade X, der entfernteste Ort in meinem Schreibtisch oder meinem Gehirn... Schon kriecht es hervor, flattert mit den traurigen Seiten wie ein todeswunder Vogel... etwas, das mir einmal unheimlich wichtig war und das sich einfach nicht töten lassen will...

Der Traumweltzyklus! Nicht so elegant wie die Traumwelten von Dunsany, und auch nicht so unheimlich wie die von Lovecraft, aber wenigstens Traumwelt! Im Schweiße meines Angesichtes auf einer Schreibmaschine von Olympia produziert... ich werde diese unheimlichen Geister der Schublade X in Zukunft nur noch "olympische Schriften" nennen, das klingt noch unheimlicher... eine reguläre Manuskriptseite (Norm) war damals 30 Zeilen mit bis zu 60 Zeichen (= 1.800)... was für eine Verschwendung, der junge Mann, der ich damals war, bekam soviele Zeichen drauf, wie draufpassten. Als man mir solche bizarren Konzepte wie "Absätze" und "Lesbarkeit" nahebrachte, 60 Zeilen mit 60 Zeichen (= 3.600). Davor auch mehr. Ohne Absätze.

Der Traumweltzyklus! 100 Seiten mit bis zu 3.600 Zeichen, also im Maximum 360.000 Zeichen. Hardcore! Es sind zwar nicht soviele, enttäuschenderweise, verdammte Absätze, aber dennoch... jeder normale Mensch würde davon ausgehen, dass da irgendetwas brauchbares dabei wäre, oder? Ein Relikt der goldenen Zeit zur Erbauen dieser düsteren Tage... Ich verrate euch ein Geheimnis, und darin liegt das Grauen, das schnell und heimlich wieder in die Tiefen der Schublade X verbannt werden soll:

Ein normaler Mensch würde davon ausgehen...
...aber wer jemals hat behauptet, dass Schriftsteller normal sind?


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