Montag, 24. September 2007

Amadeus auf der Flusswelt (10)

Vielleicht eine Fortsetzung von Nemed House: Amadeus auf der Flusswelt (8) unter Einbeziehung relevanter Suchbegriffe. (Wir müssen mal wieder die Quote pushen!)

Dann kam die Zeit der Bersteinring-Tournee. Die größte Nummer, die Amadeus Burroughs und seine Band, die Tarmangani je abgezogen hatten – 14 Konzerte in den größten Küstenstädten der USA, die Ostküste herab und die Westküste rauf. Die Vorbereitungen dauerten drei Monate konzentrierten Probens. Konzentriert hieß, wenn man von Amadeus selbst absah.

Es gab Botengänge zum Schnapsladen, und in dem Aufnahmeraum des Studios die Groupies. Den Rest der Zeit verbrachte Amadeus in den Kneipen, die praktischerweise rund um sein sein Motel lagen, und das Studio schickte jeden Tag pünktlich um 10 die Schwarze Limousine, um ihn in seinem Raum aufzugabeln, oder wenn es nicht anders ging, auch aus dem Hinterzimmer einer Bar abzutransportieren. Ohne Vitaminspritzen ging gar nichts.

Amadeus Universalmittel, die magische Flasche, die seinen Nöten abhalf, seine Probleme löste. Er musste aus geschichtlicher Notwendigkeit saufen. Dem dionysischen Bild gemäß, mit dem er sich identifizierte, in das er sich versetzte, und in der kulturellen Tradition Amerikas Amadeus gelegentliche Impotenz verursachte.

Amadeus trank, um die Schmerzen des Daseins zu lindern. Diesen Schmerz zu begreifen, war wichtiger als irgend etwas sonst im Leben, obschon das Leben selbst ständige Quelle des Schmerzes war. Das war schon fast Buddhismus, aber Amadeus benutzte es eher wie ein Aufputschmittel.

Der Anlaß zum Trinken war nicht so sehr Teil der umfassenderen Realität, sondern ein wichtiges Fundament der persönlichen Mythologie, die Amadeus sich erschaffen hatte. Das Bild des leidenden Künstlers, der an sich selbst kaputt ging, war schon immer ein attraktives Bild gewesen, und eine Abkürzung zur Unsterblichkeit. Kopfüber über dem chaotischen Miasma der Menschlichkeit baumelnd, die Hände auf den Rücken gebunden, ein Opfer an die Vorstellungen der Fans und der PR-Monstermaschine.

Das Bild des Gekreuzigten hatten schon so unterschiedliche Typen wie James Dean und Morrison benutzt, um ihren eigenen Mythos zu nähren. Das war typisch. Amerika hatte keine Götter, also schufen sie sich selbst. Die verfassungsmäßige Konfessionslosigkeit der Vereinigten Staaten hatte immer wieder zur Folge, daß die Massen so leicht auf religiöse Ikonen ansprangen. Politiker und Schauspieler, und oft dieselben, hatten ein leichtes Spiel, in das Unterbewußtsein der Bevölkerung einzudringen, indem sie die Posen biblischer Charaktere kopierten.

Amadeus fand es einfach, sich selbst zum Opfer zu bringen. In seinen Notizbüchern meditierte er über die Ikonographie, die die Musikjournalisten von ihm aufgebaut hatten. Der Eierkopf-Dionysos. Der schwarze Engel der Zerstörung. Dies war der Abgrund, über den er sich selbst aufgehängt hatte. Wenn man sagte, daß in den Medien jemand ‚gehängt’ oder ‚gekreuzigt’ wird, heißt es eigentlich nichts anderes, als daß jemand systematisch fertig gemacht wird.

Amadeus gefiel sich in der Pose des Gekreuzigten. Er war gerne ein elektronischer Messias, sein eigener persönlicher Jesus. Er stand voll darauf, fertig gemacht zu werden. Er freute sich auf die Tournee. Der Wetterdienst hatte „Trauer, House Music und Bikinis“ vorhergesagt.

Das war einen Tag gewesen, bevor der QVC-Trojaner, Codename „Der Pate“ die halbe Datenbasis der Ostküste ausradiert hatte.

* * *

In der Schwarzen Limousine: Vor den getönten Scheiben drängten sich die Mädchen, manche ohne Schlüpfer, manche vollkommen nackt, lauter kleine virtuelle Anime-Girls, violetter Lippenstift, neongrüne Nägel, Ponyzöpfe und Ganzkörperrasur. Die Abdrücke ihrer kleinen Brüste tätowierten das rauchige Glas mit ovalen Spuren. Die Tarmangani auf dem schwarzen Lederpolster. Gläser klirren. Amadeus erzählt einen Witz.

„Burroughs, Burroughs...“

Burroughs war für die Kids nichts weniger als ein Gott. Was Amadeus sich in früheren Zeiten überlegt hatte, war Wirklichkeit geworden. Er hatte sich lange genug von exponierter Stelle herab in den Abgrund hängen lassen, daß sein persönlicher Mythos sich in den Urwassern des kollektiven Unterbewußten auflösen konnte.

Er hatte das Chaos der Phantasielosen befruchtet und eine neue Schlangenbrut hervorgebracht. Das Opfer des Gehängten war erfolgreich gewesen, wenn auch auf Kosten von wichtigen teilen seines Selbst. Von diesem Akt ging für jeden, der klarsichtig genug war, es zu begreifen, eine gewisse morbide Faszination aus. Aber wenige begriffen, worum es Amadeus wirklich ging. Für manche war seine Show nur ein affektiertes Kokettieren mit der katholischen Schuld & Sühne-Nummer, für andere ein paganes Spektakel der Selbstvergottung.

„Ich habe da dieses homöopathisch codierte Hasch“, vertraute er irgendwann den Tontechnikern an, „Fettes Harz aufgeladen mit der telepathischen Schwingungen und den Ideen von allen Freaks, die jemals einen Brocken davon gezogen haben. Es ist Information pur: der Acapulco Golden Silence Mind Trip. Jedermann sonst kann das Programm erweitern: in den Vereinigten Staaten war Los Angeles immer der genetische Plan, nach dem sich die ganze Evolution richten sollte: Westwärts – zum Meer – Surfen und Doppel-D Silikon Nirvana.“

Auf die verwirrten Blicke der Techs grinste er nur verschwörerisch. „Das kommende Königreich, Kids!“, rief er, „Das Jüngste Gericht wird warm serviert!“

In Atlanta sprach er beruhigend auf Zuschauer ein, die bei den Randalen am Rande des Superbowls verletzt worden waren.

Und in New York zog er seine Jacke aus und gab sie einem Kind, das im Regen am Straßenrand zitterte. „Das ist alles Teil der Formel“, flüsterte er spöttisch seinen Kollegen zu. „Der Sterbende und Wiederauferstandene Gott gibt reiche Gaben an seine Gläubigen.“

„Die beste Show seit dem Brand Roms“, beschrieb der Journalist Alan Cabal vom Modern Noise Magazine das Konzert in Queens, das die Tarmangani als Hauptact hinter Ganjasta Rap und Lugosi Saviour spielen sollten. „Ich sehe ihn immer mit Weintrauben im Haar, wie einen heidnischen Frühlingsgott aus dem alten Griechenland. Er stand am Mikrophon, packte es oben mit der Rechten, den Ständer mit den Fingerspitzen der Linken, das Licht fiel auf sein Gesicht. In diesem Moment begann die Schöpfung. Es gibt kein zweites Gesicht auf der Welt wie dieses Antlitz. Es ist so wunderhübsch im landläufigen Sinn. Mit seinem symbolischen Tod geht es der ganzen Welt besser. Weil du, wenn du es anschaust, spürst, daß er für uns am Pfahl sterben will.“

Ein etwas gelassenerer Autor schrieb im gleichen Blatt: „Man weiß nicht, ob der Kerl bescheuert oder genial ist, „aber ganz sicher weiß er, wie's sich verkaufen lässt.“

Der freie Platz in Queens ermöglichte den Tarmangani ein Programm nach einem anderen Buch und einem längeren Gig, als die britischen Band Lugosi Saviour, die gerade ihre Auflösungspläne in Florida bekanntgegeben hatten, ihre Spielzeit entgegen allen Absprachen auf eine halbe Stunde kürzten. Mehr Raum für Burroughs und seine Show, und keine Berührung mit den neurotisch-depressiven, asexuellen Inselfröschen. Die Tarmangani sahen in Freiheit einem guten und aufregenden Abend entgegen.

„Burroughs, Burroughs, Burroughs...“

In der Schwarzen Limousine. Seine Dokumentation: rundherum das ziemliche Mädchen-Gedränge. Hinter ihn schützend ein Trupp New Yorker, sie folgten im Kielwasser des Helden. Er schien entspannt und ging rückwärts, war fröhlich und burlesk.

„Burroughs, Burroughs...“

Ein Mantra; die Menge sang es über das ganze Gelände hinweg. Amadeus wirkte feierlich, als er auf die

Polizisten bezogen ihre Stellung vor den Kameramännern. Nur die Knöpfe der Verstärker, Räucherstäbchen auf Hirams Orgel, sonst nichts.

„Burroughs, Burroughs...“

Die jungen Leute fingen an, auf einander zu klettern, um sich an der Bühne hochziehen zu können – nur um von den Polizisten buchstäblich zurück in die Dunkelheit geworfen zu werden. Hölzerne Klappstühle wurden nach den Bullen geschleudert; Hunderte von Teenagern bluteten.

Um Mitternacht notierte er, „Rückzug ins Primitive: Nacktheit und Waghalsigkeit. Auf einmal gibt's keine Gefahr.“ Seine inneren Kräfte brachten am nächsten Tag wieder Farbe in sein Gesicht.

Der Gig wurde abrupt beendet und das wurde in einer Zeit, in der Rock-Krawalle im Untergrund schick wurden und Schlagzeilen von jedem neuen Krach die Reputation der Bands nach oben puschten, zu einem Verkaufsschlager. Der Trend nahm noch zu. Hello, l Love You.

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