Montag, 23. Juli 2007

Pyropunk :: Form und der Prinz

Der vorliegende Roman, der zweite in einer Folge von drei (sammelt sie alle!) ist hier vielleicht postmoderner als andere – eine effektivere Bombe – doch auch er ist nicht so clever und non-linear, wie man fürchten könnte. Stattdessen ist er multi-linear, zusammengeknüpft aus mehreren Erzählsträngen. Warum sich auch mit einer Wirklichkeit zufriedengeben?


Auch hier wird die innere Handlung durch einen oberflächlichen Kniff vorgegeben: Wie man sieht, ist das Buch in vier thematische Teile – inzwischen kodifiziert als Exposition, Entwicklung A + B, und Denouement (man könnte auch sagen, Katastrophe) – unterteilt, um eine grundlegende Dramatik vorzugaukeln. Dass es pro Teil Themenschwerpunkte gibt, hilft natürlich auch, Kontinuität zu entwickeln, die es vielleicht nicht gibt. Die vertikale Teilung in vier Teile hilft bei der Ausgestaltung der horizontalen: Ich musste nun nur noch einige Folgen von jeweils vier miteinander verknüpften Szenen schreiben, und der Roman begann von ganz alleine zu wachsen. Eine wunderbare Methodik, die ich anscheinend en passant für mich also vor 17 Jahren erfunden habe. Das scheint auch fast logisch zu sein: Das Leben in der Grosstadt – die urbane Pluralität – lässt sich nun einmal besser mit non-linearen Mitteln darstellen. Es bleibt dem Autoren überlassen, wie genau er den chaotischen Datenstrom des modernen Lebens darstellen will.

Auch ohne hochgestochen daherzukommen, hatte die Struktur des Werkes eine Art Eigenintelligenz vorzuweisen und diktierte mehr oder weniger die Art und Weise, wie er sich entwickeln und enden würde. Dies machte es mir auch leicht, bei der Überarbeitung des Werkes in den letzten Wochen noch ein paar Kapitel hinzuzufügen. Ich brauchte nur einige andere Texte aus der gleichen Epoche zu weiteren Szenenfolgen weiterzuentwickeln und die so entstehenden Kapitel einzugliedern. Während ich mit der Reihenfolge der Kapitel herumspielte, wuchs zugleich auch die kontextuelle und moralische Dimension des Romans, weswegen ich noch einen Prolog und eine Coda hinzufügte, um das Werk als ganzes abzuschliessen.

Sind die einzelnen Kapitel deswegen unchronologisch? Der Zeitstrom – darauf hat bereits Michael Moorcock hingewiesen, der als unsichtbarer Übervater (?) über dem ganzen Unternehmen steht – verläuft nicht gradlinig, sondern paradox. Er schlägt Kapriolen und läuft manchmal sogar in sich selbst wieder zurück. Es ist vielleicht kein Wunder, dass ich die Figuren der Pyropunk-Romane auch manchmal als „Chronolyten“ bezeichnet habe. Sie lösen die Zeit auf. Denn die Zeit existiert nur in ihrem Bewusstsein – ebenso wie seine Fiktion nur im Bewusstsein des Lesers.

Ein weiteres Merkmal der Postmoderne, die Dekonstruktion des Selbstbestimmung, wird jedoch in den Pyropunk-Romanen nicht auftauchen. Sie sind rein idealistische Werke (obwohl der Idealismus konsequent verhöhnt wird), denn sie feiern die Anarchie. Kann es einen größeren Idealismus geben? Vielleicht ist es gerade diese Dekonstruktion des Postmodernen, die sie wieder zu Vertretern der Postmoderne macht? Das Nicht-Vorhandensein der verbindlichen Weltsicht oder des Lebenssinnes gilt hier nicht als weltanschauliche Einsicht, sondern als ein in der Erzählung verankerter biologischer und politischer Defekt, gegen den sich alle Handlung richtet. Oder andersherum. Denn die ausschließliche Verbindlichkeit dieser Aussage ist genauso ein Teil des Problems wie die ausschließliche Verbindlichkeit seines Gegenteils. Der Pyropunk streitet also – wie immer – gleichermaßen gegen die (Post-)Moderne wie gegen das Mittelalter, gegen die Beliebigkeit wie gegen die Einschränkung, gegen das Chaos wie gegen die Ordnung.

Wenn man das genau weiterdenkt, erkennt man schnell, dass nicht nur die Hanswurstfiguren der Commedia dell’Arte zu geistigen Verwandten dieser Gestalten gehören, sondern natürlich auch Don Quixote. Während er gegen Windmühlen stritt, die er in seinem Wahn für Riesen hielt, streitet der Pyropunk gegen allen Wahn der Riesen – Kapitalismus, Kommunismus, Fußgeruch und Disko.

Aus dem Nachwort von "Prinz der Ruinen" (2007) - Entwurf
Der erste Teil dieses Textes unter
Pyropunk :: Form und Postmoderne

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