Mittwoch, 16. Oktober 2013

Paraterra

In den alten, wunderbaren blauen Taschenbüchern der Terra Fantasy-Reihe wurden, so scheint es, dem ungeschulten deutschsprachigen Publikum erstmalig die wichtigsten Autoren, Figuren, Geschichten und Novellen der Fantasy vorgestellt. Und der Herausgeber, der unnachahmliche Hugh Walker, selbst ein Schriftsteller von einigem Kaliber, nahm sich immer die Zeit, das vorliegende Werk in die Geschichte des Genres und seiner Subgenres einzuordnen. Es gibt nicht nur die epische Fantasy, die sich bis zum heutigen Tag in schwerwiegenden Trilogien und Tetralogien vermehrt, die Bastardkinder Professor Tolkiens, sondern auch die historischen, pseudo-historischen oder interplanetaren Romanzen, oder gar die heroische Fantasy, die von unerschrockenen Kämpen wie Conan dem Cimmerier oder einem schwächeren Abklatsch wie Brak dem Barbaren berichtet. Geschichten aus einer Welt, die die unsere zu einer anderen Zeit in Vergangenheit oder Zukunft ist oder ihr so ähnlich sieht, dass man es zumindest einen Augenblick glauben mag. Der unvergessene Lin Carter nannte diese Art der Welt eine Paraterra, wenn wir Mr. Walker glauben mögen, und dies ist ein Wort, das ich nur zu gerne entwende und benutzen möchte. Immerhin, der Diebstahl geistigen Eigentums kann auch eine Art Hommage sein, und gerade die Autoren der Fantasy haben sich immer wieder als Halunken erwiesen, die raubeiniger und unerschrockener waren als manche ihrer Schöpfungen.

Dass die Terra Fantasy einem parallelen Universum entstammt, ist nur zu offensichtlich. Die Realität nebenan, so verlockend sie auch scheinen mag, ist nicht unsere Heimat, aber sie ist ein willkommener Zufluchtsort. In diesem Universum ist der Herr der Ringe nicht Fiktion, sondern dokumentierte Vorgeschichte Europas vor dem Kommen Christi’ Botschaft – und dieses Universum ist das gleiche wie das in C.S. Lewis' Weltraumromanen, worauf der Autor mehrfach hinweist. Kann Planet Narnia weit entfernt sein? Und doch ist das nichts gegen die Vorgeschichte eines anderen Universums, in dem die theosophischen Spekulationen über die Weltenalter blutige Realität sind. Hier war der größte Herrscher zwischen dem Untergang von Atlantis und der Eiszeit jener legendäre Cimmerier, von dem Brak nur ein schwacher (aber witziger) Abklatsch ist. Und es ist auch das Universum von Poseidonis und Xiccarph, das den großen Cthulhu, die Schlangenmenschen des vorsintflutlichen Valusiens und die zottigen Einwohner Hyperboreas zu den Einwohnern zählt, von denen wir wissen. Selbst der Name des letzten Kontinents, den unsere Erde am Ende ihres Daseins haben wird, ist bereits vorhergesagt worden...

...und dieser Name ist nicht Arullu.

Dies sind natürlich nicht die einzigen Möglichkeiten, die wir finden können, um das Universum, mit dem wir uns beschäftigen, interessant zu gestalten. Und seinen wir ähnlich, wenn wir die Wirklichkeit, die uns umgibt, wirklich so interessant finden würden, gäbe es dann überhaupt so etwas wie Kunst, Literatur, Religion oder Magie? Das Multiversum, die Gutenberg-Galaxis, bietet dem Leser, vor allem aber auch dem Schriftsteller, immer wieder neue Dimensionen, immer wieder neue Planeten, neue Permutationen der einen Wahrheit an, sobald die Seite umgeschlagen wird. Die Möglichkeiten zur Weltflucht sind unendlich, die parallelen Universen des Eskapismus ungezählt.

Keine Kommentare: