Sonntag, 8. November 2009

In der Verlassenen Stadt [1]

Ich weiß, daß viele mich für wahnsinnig halten, aber ich WEISS, daß damals, vor nunmehr zwanzig Jahren etwas unglaubliches geschah...

Die Grenzen von Zeit und Raum verschoben sich, wenn sie je existierten. Ich weiß, daß niemand je meine Geschichte glauben wird, denn es fehlt an Beweisen, aber EINMAL noch will ich sie erzählen, und dieses Mal ist es das letzte Mal. Vielleicht wird irgendwann einmal jemand diese Worte beweisen können - aber ich zweifle daran, denn selbst ich würde diese Geschichte für rauscherfüllten Fiebertraum halten, wenn es nicht ETWAS gäbe, daß mir zeigt, daß das, was durch die finstersten Nachtmähre ängstlichster Nächte auf schwarzen Fledermausschwingen jagt und rotäugig kichernd meine Seele zerfetzt, existieren muß...

Es war eine jener lauen Frühlingsnächte vor nunmehr zwanzig Jahren. Wie so oft hatte ich mit Freunden den ganzen Abend über gezecht beim gemischten Trunke von Wein und den scharfen Branntweinen, die unser Wirt extra für uns (so sagte er) bereithielt. Das Lokal war voll von Rauch und Qualm, vom Dunste der Menschen und dem kaum unterdrückten Ärger der Studenten. Mein Kopf war von den erhitzten Diskussionen und dem reichlichen Genuß des Weines wie angeschwollen, als ob kochendes Blei statt Blut in meinen Adern und meinem Hirn floß. Des nutzlosen Streites überdrüssig, wankte ich auf die Tür zu. Dies war der Moment als meine Kameraden mich das letzte Mal sahen. Später sagten sie, ich wäre spurlos verschwunden, und auf den leeren nachtdunklen Straßen hätten sie keine Spur mehr von mir gefunden. Ich glaube dies gerne, denn in jenem Moment, da ich durch die Tür trat, TRAT ICH IN EINE ANDERE WELT HINÜBER! Und als ich mit schmerzendem Schädel innehielt, als die kühle Nachtluft mir einen Hieb wie mit einem feuchten Handtuch versetzte, fand ich mich in einer anderen Stadt wieder, in einer Stadt ohne Leben, einer Stadt, in der der nackte Wahnsinn sein blutiges Zepter schwang. Mit pochenden Schläfen hielt ich inne. Meine Augen quollen schier aus ihren Höhlen. Mein Herz drohte in meiner Brust zu explodieren. Dann schloß ich meine Augen und lehnte mich gegen die kühle Hauswand um ersteinmal meines. wie wahnsinnig galoppieren Herzens Herr zu werden.

Wahrlich, im ersten Momente glaubte ich wirklich an eine Sinnestäuschung oder einen Irrtum meinerseits. Doch als ich mich umwandte, um zurück in das Lokal zu treten - DA WAR VOR MIR EINE WAND, NACKTER STEIN DORT, WO EBEN NOCH DIE TÜR GEWESEN WAR!

Und ein bleierner Himmel wölbte sich über den nachtfinsteren Strassenschluchten, durch die ich schritt, meines fiebernden Herzens kaum noch Herr. Seltsame Sternkonstellationen blinkten blind über mir, auf keine Art mit den Bildern verwandt, die ich gekannt hatte, wenn ich des Abends einmal durch die Linsen meines Rohrs spähte. Seltsame fahle Streifen über -zogen den bleiernen Himmel wie des Netz einer gewaltigen Spinne. Es war eine gewaltige, eine fremde Welt, unter deren kalten dunklen Himmel ich durch lichtlose Schluchten, über denen sich riesige schwarze Wolkenkratzer einander zuzunicken schienen. Kein Leben war hier, und so floh ich durch die Nacht, meiner grausigen Furcht kaum noch Herr, die mein banges Herz fast zu sprengen schien...

Irgendwann stolperte mein unsicherer Fuß über leprös zerfressene Steine, und ich fiel auf den kalten Strassenboden. Dort lag ich lange Zeit, bis ich endlich meine Angst niederkämpfte und mir langsam und immer wieder zuflüsterte, daß gar nicht geschehen sei, was meine Furcht rechtfertigen könne. Nichts war geschehen ...nichts war geschehen ...und langsam hob ich wieder den Blick zu den gewaltigen Häusern empor, die so finster und leblos dräuten wie der Berg Erebus, der höllische Vulkan des Südpoles.

Kein Lichtschimmer war in jener Stadt zu sehen, kein Hauch von Leben schwebte über den finsteren Strassenschluchten. Ich spürte das Vakuum von Leben und Lauten in jener gesamten Stadt, die wie ein riesiger Scherenschnitt aus schwarzem Eisen zu sein schien. Kein Windhauch, kein Menschenlärm, hallte durch die endlosen Strassen. Ich erhob mich langsam. Schweiß lief über mein Gesicht, aber ich hatte keine Angst mehr, nur das namenlose Drücken der Ungewissheit. Was war dies für ein dämonischer Ort? Doch niemand war hier, der mir antworten konnte, nur die riesigen, lichtlosen Kolosse der gewaltigen Gebäude, die mir mehr wie unheimliche Tempelpyramiden namenloser Blutgötzen vorkamen als wie Wohnstätten menschlicher Wesen. So wanderte ich ziellos durch die kalten, stillen Straßen der verlassenen Stadt, unter dem spinnennetzüberzogenen Bleihimmel über den schwarzen Häuptern der gottlosen Gebäude, die auf mich herabzustarren schienen, bis ich die Leiche des Mannes fand.

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