Freitag, 27. November 2009

Buch :: A Medicine for Melancholy

Eine Anthologie: Zweiundzwanzig Kurzgeschichten, und hier heisst 'kurz' wirklich kurz, in denen der Autor einige wiederkehrende Themen zu immer neuen Melodien verbindet. Während Bradbury als ScienceFiction-Autor gehandelt wird, sind selbst seine Marsgeschichten nicht wirklich SF. Es sind Träume und Grotesken, mal beschwingt, mal albern oder auch dunkel, mein Liebling.

Das Buch: Es war wohl Charles Bukowski oder ein anderer Poet, der sich voller Abscheu über Bradburys "literarischen" Stil äusserte. Das mag nicht mehr bedeuten, als dass man nicht mehr als eine der zahlreichen Kurzgeschichtensammlungen, die er verfasst hat, in einem Stück durchlesen mag, bevor man so sehr in der Art und Weise des Bradbury-Multiversums verstrickt ist, diesem dunklen Diamanten, dass es einem zuviel wird – im schlimmsten Falle auch langweilig. In diesen Geschichten gibt es keine Explosionen, und die Monster, wenn es sie gibt, kommen eher auf leisen Sohlen. Bradbury muss nicht zwanghaft das Phantastische beschwören, manchmal beschränkt sich seine Phantastik auf die Szenerie, kann also vernachlässigt werden. Und manche Geschichten, sind nur Charakterstudien, nicht wertend, sondern nur konstatierend. Vielleicht ein wenig lakonisch, aber kaum gehässig. Das ist dann das Literarische, auf das man manchmal gerne verzichten kann. Dennoch kommen auch hier immer wieder Glücksgriffe vor. Und mag Bradburys Stil und heute auch ein wenig staubig und großväterlich erscheinen – ein Urteil, das Bradbury wahrscheinlich nicht mal als negativ ansehen würde – manchmal passt es einfach. Und dann bekommen die Kleinstädte und die kleinen Leute und die kleinen Merkwürdigkeiten, die er beschreibt, einen gewissen düsteren Zauber. Nicht zuletzt deswegen wurden viele von Bradburys Geschichten – zuerst unerlaubt, dann mit Erlaubnis – von EC und anderen als Comics oder Filme adaptiert. Manche Geschichten setzen sich einfach fest.

Hör zu: Hast Du Dir schon einmal überlegt, in einem Bahnhof auszusteigen, wo sonst nie jemand aussteigt? In einer der 22 Geschichten tut genau dies der Erzähler, und findet statt des erhofften Wunders nur einen alten Mann, der seit 20 Jahren darauf gewartet hat, dass jemand in diesem Bahnhof aussteigt – damit er ihn umbringen kann.

Trivia: Letzten Sonntag auf dem Flohmarkt erstanden für 50 Cent. Ein Buch von 1960. Nicht schlecht, oder? Das beste daran ist wahrscheinlich die Notiz auf Seite 2: THIS LOW PRICED BANTAM BOOK printed in completely new type, especially designed for easy reading, contains the complete text of the original, card-cover edition. NOT ONE WORD HAS BEEN OMITTED. Huch! Klingt ein wenig so, als ob Taschenbücher/Paperbacks zu dieser Zeit noch etwas echt Merkwürdiges und Neues waren…

Rezension aus MEH, 13.06.2006, um 21:33 Uhr

Freitag, 20. November 2009

Buch :: Thor Visionaries: Walter Simonson

The sound of thunder reverberates throughout a billion billion worlds: DOOM!

Der Plot: In einem Kampf gegen den Ausserirdischen Beta Ray Bill wird der mächtige Thor, Donnergott des unsterblichen Asgard, gezwungen, seine irdische Hülle als der gehbehinderte Dr. Donald Blake aufzugeben und erscheint fortan als "Sigurd Jarlson" auf Erden. Doch selbst Odin Allvater wird erst viel zu spät klar, dass Beta Ray Bills Erscheinen nur das erste Vorzeichen apokalyptischer Geschehnisse ist, die alle Neun Welten umspannen, und Kräfte freisetzen, die seit Äonen gebannt schienen.

Das Buch: In diesem Tradepaperback sind die ersten der zu recht hoch gelobten Thor-Hefte von Walter Simonson gesammelt, der es wie kein anderer verstand, die von Stan Lee und Jack Kirby geprägte Mischung aus ScienceFiction, Superheldencomic und nordischer Mythologie wieder zu beleben, die "The Mighty Thor" in den 60ern prägte. Simonson – als Nachkomme dänischer Einwanderer – zeichnet sich vor allem aus, dass er die mythologischen Wurzeln des Donnergottes hervorstellte. Hier finden wir Götter, Zwergen und Riesen in kosmischen Zusammenhängen, die typischen Spandexhelden bleiben außen vor. Und tief im Herzen der Brennenden Galaxis schmiedet eine gewaltige, in Flammen gehüllte Gestalt, das Schwert, das dem Weltenbaum den Untergang bringen soll. Währenddessen wandelt Malekith von den Schwarzelben wieder auf Erden, und wenn er das findet, was er sucht, wird das Ende der Welt anbrechen…

Wertung: Simonsons Magnum Opus – der erste Teil. Nur noch übertroffen von den folgenden Heften, in denen alle Prophezeiungen des Ragnarök eintreffen und Thor im Kampf mit der Midtgardschlange stirbt, wie es vorherbestimmt war.

Rezension aus MEH, 30.05.2006, um 20:41 Uhr

Buch :: Stimme in der Nacht

Nichts ähnelte ihnen so sehr wie Menschen. Ihre Körper hatten die gestalt von Seehunden, aber von einer toten, ungesunden weissen Farbe. Der untere Teil endete in einer Art zweifach geschwungenem Schwanz, auf dem sie zwei lange, schneckenartige Fühler hatten, an deren enden eine sehr menschenähnliche Hand mit Krallen statt Fingernägeln saß - schreckerregende Parodien von Menschen.


Der Plot:
Das Meer ist ein Element, das sich ver völligen rationalen Kontrolle durch den Menschen erfolgreich entzuieht. Mit dem Sturm, aus dem Nebel oder aus den unbekannten Tiefen der See bricht das Unheimliche hervor und zieht wie ein Geisterschiff vor den fassungslosen Augen der Betrachter vorbei. 3/4 der Erde bestehen aus Ozeanen, und wir kennen nicht einmal die Oberfläche davon...

Das Buch: William Hope Hodgson ist heutzutage auch im deutschsprachigen Raum unverdientermassen in Vergessen geraten. Dabei sind einige seiner Werke, wie z.B. "The House on the Borderland" Kultklassiker, die mächtigen Einfluss auf auch heute noch vielgelesene Autoren hatten. Als bestes Beispiel mag hier H.P.Lovecraft dienen, der viele der Themen, die Hodgson begann, aufgriff und weiterführte. Der Band "Stimme in der Nacht" vereint vier Erzählungen, die hierfür exemplarisch stehen können - nicht umsonst wurde es bei Suhrkamp veröffentlicht, die sich mit den berühmt-berüchtigten violetten Bänden ja auch schon bei der Herausgabe von Lovecrafts Gesamtwerk hervortaten und so manchem heranwachsenden Schriftsteller Stildeformationen vererbten. Bereits in diesen vier schaurigen Seefahrergeschichten finden wir die aus den Banden geratenen Pilzwälder und Wucherungen, die weite Teile der exotischen Landschaften von Clark Ashton Smith formen. In der Erzählung "Stimme in der Nacht" ist ein alles überwuchernder Pilz, der schliesslich sogar Menschen überfällt, eine Präfiguration der Deformierungen, die in Lovecrafts Klassiker "Die Farbe aus dem All" geschildert werden. Und in der Erzählung "Die Crew der 'Lancing'" erscheint vielleicht zum ersten Mal die Art ausserirdischer/ausserkosmischer Anatomie, die Lovecraft in seinen späteren Werken so eindrucksvoll zu schildern wusste.

Wertung: Ein unbekannter Baustein des Cthulhu-Mythos. Old style, aber style.

Rezension aus MEH, 28.09.2006, um 11:20 Uhr

Freitag, 13. November 2009

Buch :: Das Licht der Finsternis

Die oberste Maxime ihres Denkens - ES GIBT NUR DAS UNIVERSUM, UND ES BESTEHT AUS ELEKTRONISCHEN ENTITÄTEN, DIE WEDER EINE SEELE HABEN, NOCH EIN BESTIMMTES ZIEL VERFOLGEN - hatte jemand einfach mit dicken, schwarzen Strichen überschmiert: O DOCH, DEN LAUNEN SATANAS'!


Der Plot: In einer nahen Zukunft hat die Wissenschaft im Namen einer allumfassenden Kirche die absolute Macht über die Menschheit übernommen. Wissenschaftliche Tricks werden als die Wunder des Großen Gottes missbraucht; die Menschheit ist gefangen in einem zweiten finsteren Zeitalter, das mehr als alles andere an das Mittelalter erinnert. Da die Kirche alles ist, müssen alle der Kirche dienen. Doch plötzlich geschehen unverständliche Dinge - die Wunder der Wissenschaft scheinen nicht mehr zu funktionieren, die Kirche steht unter dem Angriff dämonischer Kräfte. Denn eine neue Hexenkraft ist auferstanden, und selbst die elektronische Macht des Großen Gottes scheint gegen die Heimtücke Satanas' nichts ausrichten zu können.

Das Buch: Fritz Leiber, der alte Mann des düster-eleganten Stils und der ungewöhnlichen Perspektiven hat hier (unter dem Originaltitel "Gather Darkness") mitten in der dunkelsten zeit Amerikas' einen vollkommen gegen den Strich entworfenen kühnen Roman hingelegt, in dem Hexen und Satanisten (!) in einem semiotischen Guerillakrieg gegen das totale System einer Pseudoreligion stehen. Während uns diese Perspektive heute vielleicht nicht zu ungewöhnlich erscheint, muss sie vor 56 Jahren höchst ungewöhnlich und vielleicht schockierend erschienen sein. Dennoch ist dies relativ geradlinige SF, die stilistisch als direkter Vorläufer der NewWave-Bewegung der 60er Jahre gewertet werden kann: Es gelingt Leiber tatsächlich, ohne mystische Unter- und Obertöne eine Welt zu entwerfen, die auf mittelalterlichem Aberglauben basiert.

Wertung:
Nicht sein bester, aber very amusing.

Update: Wie es scheint, ist die besprochene deutschsprachige Version nicht mehr zu bekommen, jedoch für wenig Geld noch englische Ausgaben (siehe Amazon-Link.)

Rezension aus MEH, 29.05.2006, um 21:37 Uhr

Dienstag, 10. November 2009

In der Verlassenen Stadt [3]

Ich erwachte in einem Krankenhaus, und die freundlichen Schwestern erzählten mir, daß mich eine Straßenbahn überfahren hätte. Doch ich wußte daß sie lügten und schrie ihnen die Wahrheit entgegen. Ich war wieder in meiner Dimension. Die verlassene Stadt war vergangen wie ein flüchtiger Traum und noch heute weiß ich nicht, auf welchem Weg ich die Barrieren von Zeit und Raum durchschnitten hatte.

Aber Tatsache ist, DASS ich es getan habe, auch wenn die Ärzte dies nicht glaubten und ernste Gesichter bei der Geschichte schnitten. Später liessen sie mich an diesen Ort bringen, wo hartblickende Männer über mich und die anderen seltsamen Menschen wachen, die Türen keine Schlösser haben und alle Wände mit Gummi ausgepolstert sind. Mich hält man für einen gutartigen Fall, und so ließ man mich die Geschichte aufschreiben. Vielleicht wird sie irgendjemand jemals lesen.

Ich bin schon zwanzig Jahre an diesem Ort, und ich würde gewiß meinen Pflegern zustimmen, daß ich wahnsinnig bin, wäre da nicht eine unerklärliche Narbe an meinem Leibe, wie sie nur entstehen kann, wenn sich eine seltsam geformte, vierfingrige Klaue in das Fleisch gräbt...

Schließen Sie das Buch, Schwester. Ich werde nicht mehr schreiben. Es ist schon spät. Ich bin müde.

Montag, 9. November 2009

In der Verlassenen Stadt [2]

Sie lag kopflos mitten auf der Straße, von einem Schatten umgeben, der dunkler als die Finsternis war. Ich war unangenehm von dem Gedanken berührt, daß es hier Leben geben sollte, so undenklich schien dies inmitten der finsteren Straßen. Ein kalter Schauder rann meinen Rücken herab, als ich den schlaffen kalten Leib umdrehte. Auf der breiten uniformierten Brust des Mannes prangten gräßliche Narben, die mich schreckerfüllt zurückzucken ließen. WAS konnte solche Wunden reißen, die bis zu den Knochen herabdrangen? Es war ein namenlos schreckli- cher Anblick, jene Krater im kalten Fleisch des Toten mit den herausgerissenen Eingeweiden... ich will nicht weiter darüber berichten, denn auch heute noch überkommt mich das Gefühl namenlosen Entsetzens, das mich damals gepackt hatte. Doch wäre ich froh gewesen, hätte ich diese.Leiche nicht gesehen, und auch nicht die klaffenden Wunden, die seltsam geformte, vierfingrige Klauen gerissen hatten Denn diese Klauen sind es, die mich in den Wahnsinn treiben. Ohne sie könnt ich mir einreden, es wär alles doch nur ein Traum gewesen, nur ein Traum einer langen, endlosen Nacht. In der schlaffen Hand des Toten fand ich eine seltsame Feuerwaffe mit einem dicken, kubischen Lauf. Ich nahm sie mit mir, denn der Tote brauchte sie nicht mehr, und wer wußte ob ich sie nicht brauchen konnte?

So wanderte ich weiter unter den todesschwarzen Gebäuden, die sich über meinem Haupt fast mit ihren Häuptern zu berühren schienen, ja, fast bildeten sie ein Dach über mir, fast begruben sie mich mit ihren zyklopischen schwarzen Riesenmauern, in denen kein Fenster, keine Tür zu sehen war. Blicklose Totenschädel waren's, die mich verfolgten und in den Wahn zu treiben versuchten. Schweigen war Über der verlassenen Stadt, nichts regte sich, kein Leben existierte mehr in den lichtlosen Strassenschluchten.

Sicherlich war der Tote der letzte der hier Lebenden gewesen. Nur ein Schrecken war mir noch behalten, den ich zu vergessen versucht hatte: WO war ich? Und WARUM war ich hier? Doch mein fieberndes Hirn war gänzlich damit beschäftigt, in den leblosen Dunkelheiten der verlassenen Stadt zu überleben. So bemerkte ich auch nicht den schwächlichen, fahlen Lichtstreif, der die Straße entlangkroch, der über dem Haupt des höchsten Gebäudes erschien und doch immer breiter wurde. Fahles, kränkliches Licht flutete über die leere Straße. Und ich blieb in kosmischem Grauen wie angewurzelt inmitten der Straße stehen, denn was da über den Dächern der Stadt war - WAR DIE SONNE! Doch wie sah sie aus?

Ein schwächliches, lichtloses Zyklopenauge, das greisenhaft blinzelte und keine Wärme mehr zu geben vermochte. Doch es war die Sonne, jenes warme, lebensspendende gelbe Gestirn, das ich Tag für Tag vor Augen gehabt habe. Aber wieviele Jahrtausende waren vergangen, als ich durch eine Tür trat und mich in einer verlassenen, leblosen Stadt wiederfand? ICH BEFAND MICH AM ENDE DER ZEIT!

Lange stand ich da, eine menschliche Statue, versteinert von jener kosmischen Erkenntnis meines Schicksals.

Kein Wort drang über meine Lippen, doch die seltsame Waffe brannte in meiner Hand. Da rissen mich schrille Schreie zurück, und ich fuhr herum und sah eine blutige Horrorszene im fahlen Licht der altersschwachen Sonne. In einer Fontäne von Blut wurde ein blondes Haupt von den Schultern gefegt, eine fledermausflügelige Höllenkreatur stieß kreischend zu, bluttriefende vierfingrige Krallen vorschlagend. Rote Augen lachten vor unheiliger Blutlust. Eine zweite, und eine dritte und vierte Kreatur folgten mit langsamen Schlägen ihrer nachtschwarzen Schwingen einer blutüberströmten Frau, die in namenloser Furcht schrie. Und ich sah die roten Krallen, die sich ihr näherten, und hatte den Mörder des Mannes gefunden. Die Frau sah mich. Obwohl sie wußte, daß sie keine Chance hatte, versuchte sie mich noch zu warnen : "Flieh, du Narr! Die Blutjäger von Moggrótain sind schon überall! Die Dämonen von Gartangur marschieren -- aaa!"

Und sie ging nieder in dem dunklen Rudel der geflügelten Alptraumkreaturen. Und bevor ich es mir versann, hatte ich schon die Waffe hochgerissen und feuerte auf den Dämon, der sich gerade blutüberströmt von der kopflosen Leiche erhob und auf mich zuflatterte. Mit dem gedämpften Donner eines Booom! zuckte ein armdicker roter Strahl aus dem Kubus der Waffe und traf den Geflügelten. Er wurde fast in Stücke gerissen. Die drei andren Kreaturen hoben ihre blutbesudelten Häupter von der Frau und sahen mich mit roten, wissenden Augen an.

Mein Gott! Sie waren menschlich und doch unmenschlich, weder Tier noch Gott, sondern beides, weder Mann noch Frau - etwas unbeschreiblich anderes, fremdartiges! Nichts irdisches war an ihnen, als sich ihre vierfingrigen blutroten Klauen lösten und sie auf ihren schwarzen Fledermausschwingen auf mich zu flatterten, mit der blutgerinnenden Langsamkeit von Alptraumgestalten. Ich schrie in nervenzerfetzender Furcht auf und feuerte nochmal. Doch der Schuss erstarb in der Mitte. Das Feuer verzehrte die Kreatur, sie fiel mit verkohlten Flügeln kreischend zu Boden, die anderen glitten weiter auf mich zu.

Ich warf die nun nutzlose Waffe von, mir und floh. Sie folgten mir.

Über die endlose Alptraumjagd weiß ich kaum noch etwas. Sie jagten mich durch die leblosen finsteren Straßenschluchten der verlassenen Stadt. Ich rannte atemlos durch die wechselnden Muster von Fähle und Finsternis, bis ich glaubte, ihnen entkommen zu sein. Doch dann legten sich nachtdunkle Fledermausschwingen um mich, und alptraumhafte, ja höllische Fratzen grinsten in mein totenstarres Gesicht. Dann stürzten sich Moggrótains Blutjäger in ungezügelter Blutlust auf mich.

Sonntag, 8. November 2009

In der Verlassenen Stadt [1]

Ich weiß, daß viele mich für wahnsinnig halten, aber ich WEISS, daß damals, vor nunmehr zwanzig Jahren etwas unglaubliches geschah...

Die Grenzen von Zeit und Raum verschoben sich, wenn sie je existierten. Ich weiß, daß niemand je meine Geschichte glauben wird, denn es fehlt an Beweisen, aber EINMAL noch will ich sie erzählen, und dieses Mal ist es das letzte Mal. Vielleicht wird irgendwann einmal jemand diese Worte beweisen können - aber ich zweifle daran, denn selbst ich würde diese Geschichte für rauscherfüllten Fiebertraum halten, wenn es nicht ETWAS gäbe, daß mir zeigt, daß das, was durch die finstersten Nachtmähre ängstlichster Nächte auf schwarzen Fledermausschwingen jagt und rotäugig kichernd meine Seele zerfetzt, existieren muß...

Es war eine jener lauen Frühlingsnächte vor nunmehr zwanzig Jahren. Wie so oft hatte ich mit Freunden den ganzen Abend über gezecht beim gemischten Trunke von Wein und den scharfen Branntweinen, die unser Wirt extra für uns (so sagte er) bereithielt. Das Lokal war voll von Rauch und Qualm, vom Dunste der Menschen und dem kaum unterdrückten Ärger der Studenten. Mein Kopf war von den erhitzten Diskussionen und dem reichlichen Genuß des Weines wie angeschwollen, als ob kochendes Blei statt Blut in meinen Adern und meinem Hirn floß. Des nutzlosen Streites überdrüssig, wankte ich auf die Tür zu. Dies war der Moment als meine Kameraden mich das letzte Mal sahen. Später sagten sie, ich wäre spurlos verschwunden, und auf den leeren nachtdunklen Straßen hätten sie keine Spur mehr von mir gefunden. Ich glaube dies gerne, denn in jenem Moment, da ich durch die Tür trat, TRAT ICH IN EINE ANDERE WELT HINÜBER! Und als ich mit schmerzendem Schädel innehielt, als die kühle Nachtluft mir einen Hieb wie mit einem feuchten Handtuch versetzte, fand ich mich in einer anderen Stadt wieder, in einer Stadt ohne Leben, einer Stadt, in der der nackte Wahnsinn sein blutiges Zepter schwang. Mit pochenden Schläfen hielt ich inne. Meine Augen quollen schier aus ihren Höhlen. Mein Herz drohte in meiner Brust zu explodieren. Dann schloß ich meine Augen und lehnte mich gegen die kühle Hauswand um ersteinmal meines. wie wahnsinnig galoppieren Herzens Herr zu werden.

Wahrlich, im ersten Momente glaubte ich wirklich an eine Sinnestäuschung oder einen Irrtum meinerseits. Doch als ich mich umwandte, um zurück in das Lokal zu treten - DA WAR VOR MIR EINE WAND, NACKTER STEIN DORT, WO EBEN NOCH DIE TÜR GEWESEN WAR!

Und ein bleierner Himmel wölbte sich über den nachtfinsteren Strassenschluchten, durch die ich schritt, meines fiebernden Herzens kaum noch Herr. Seltsame Sternkonstellationen blinkten blind über mir, auf keine Art mit den Bildern verwandt, die ich gekannt hatte, wenn ich des Abends einmal durch die Linsen meines Rohrs spähte. Seltsame fahle Streifen über -zogen den bleiernen Himmel wie des Netz einer gewaltigen Spinne. Es war eine gewaltige, eine fremde Welt, unter deren kalten dunklen Himmel ich durch lichtlose Schluchten, über denen sich riesige schwarze Wolkenkratzer einander zuzunicken schienen. Kein Leben war hier, und so floh ich durch die Nacht, meiner grausigen Furcht kaum noch Herr, die mein banges Herz fast zu sprengen schien...

Irgendwann stolperte mein unsicherer Fuß über leprös zerfressene Steine, und ich fiel auf den kalten Strassenboden. Dort lag ich lange Zeit, bis ich endlich meine Angst niederkämpfte und mir langsam und immer wieder zuflüsterte, daß gar nicht geschehen sei, was meine Furcht rechtfertigen könne. Nichts war geschehen ...nichts war geschehen ...und langsam hob ich wieder den Blick zu den gewaltigen Häusern empor, die so finster und leblos dräuten wie der Berg Erebus, der höllische Vulkan des Südpoles.

Kein Lichtschimmer war in jener Stadt zu sehen, kein Hauch von Leben schwebte über den finsteren Strassenschluchten. Ich spürte das Vakuum von Leben und Lauten in jener gesamten Stadt, die wie ein riesiger Scherenschnitt aus schwarzem Eisen zu sein schien. Kein Windhauch, kein Menschenlärm, hallte durch die endlosen Strassen. Ich erhob mich langsam. Schweiß lief über mein Gesicht, aber ich hatte keine Angst mehr, nur das namenlose Drücken der Ungewissheit. Was war dies für ein dämonischer Ort? Doch niemand war hier, der mir antworten konnte, nur die riesigen, lichtlosen Kolosse der gewaltigen Gebäude, die mir mehr wie unheimliche Tempelpyramiden namenloser Blutgötzen vorkamen als wie Wohnstätten menschlicher Wesen. So wanderte ich ziellos durch die kalten, stillen Straßen der verlassenen Stadt, unter dem spinnennetzüberzogenen Bleihimmel über den schwarzen Häuptern der gottlosen Gebäude, die auf mich herabzustarren schienen, bis ich die Leiche des Mannes fand.

Samstag, 7. November 2009

Working...

Habe seit drei Tagen darüber meditiert, was ich machen kann ohne eigenen Computer...
Habe mehrere Altwerke unseres Autorenkollektivs angesehen (schreibmaschinengeschrieben)... dachte darüber nach, welches man abtippen und neu bearbeiten könnte... habe vier davon eine Abfuhr erteilt...
Aber gut genug für den Blog sind sie noch...

Freitag, 6. November 2009

Buch :: Das Grüne Millennium

"In diesem Jahrhundert zählt nur die Nacht", sagte Mitzie wie zu sich selbst. "Die Nacht in einer großen Stadt. Blaßgelbe Straßen und grelle Tunnels. Sie haben uns den Dschungel weggenommen, das Meer und sogar das All und die Luft. Sie haben die Hälfte der Nacht abgeschafft. Sie haben versucht, die Gefahr zu stehlen. Aber wir haben sie wiedergefunden. Wenigstens in der Stadt. Wir, die wir Mut haben und alles hassen, was mutlos ist." Mitzie trat auf die Bremse.

Der Plot: Fortschritt kann ziemlich langweilig sein. Es gibt wenig, wofür es sich zu leben lohnt. Bizarre Moden grassieren, die Bundesbehörde für Rechtschaffenheit und Freizeitgestaltung (BARF, auf dt. etwa 'WÜRG') ist momentan die einflussreichste Gruppierung, zusammen mit dem organisierten Verbrechen. Eine gefährliche Athmosphäre aus Lethargie und Übersättigung lähmt auch Phil Gish, einen aus dem Heer der Namenlosen, die durch zunehmende Automatisierung ihre Arbeit verloren haben. Und dann begegnet er eines Morgens einer bemerkenswerten, kleinen, grünen Katze.

Das Buch: Nachdem ich dieses Buch seit langem wieder gelesen hatte, kam es mir nicht mehr so abgefahren vor wie beim letzten Mal. Natürlich, in den 80ern hatte man noch nichts von einem 'Millennium' gehört, und das Schrillste, was ich kannte, war Frankie Goes To Hollywood. Inzwischen sind wir ein Jahrtausend weiter, und vieles von dem, was der grosse Fritz Leiber vor einem halben Jahrhundert in seinem eleganten und ironischen Stil entworfen hat, ist längst Wirklichkeit geworden. Damals war es mir nicht klar, schliesslich war es Science Fiction, aber auch ich würde einmal im Grünen Millennium leben!

Dies ist kein Buch, das mit Wissenschaft (Science) überrascht – es ist eine Satire auf das Leben in das Urbane Leben der Moderne. Vielleicht war das Ziel das Amerika der 50er, aber damit trifft es selbst heute noch recht gut die Dunkle Nacht der Seele der Vorstädte. Dies ist ein unterschätztes und verspieltes Exemplar für die andere, oft übersehene Variante von SF – social fiction.

Natürlich kann man die Suche nach der Grünen Katze (Bast?), die der einzige rote Faden ist, der den Roman zusammenhält, auch symbolisch sehen. ist es albern? ist es profund? und warum ist es grün? In Wirklichkeit geht es um eine soziale Fiktion, die inzwischen längst Realität geworden ist: eine moderne, ziellose Gesellschaft, in der es von zynischen Spinnenmädchen, sadistischen Psychologen, spinnerten Westentaschenpropheten, Hexen mit Püppchen-Tick, Gangstern, Ganoven und gemischtgeschlechtlichen Freistilringern wimmelt. Eine Gesellschaft, die einerheits so beherrscht und sauber ist, wie man es von einem Autoren der 50er erwarten würde, und uns im nächsten Augenblick mit Szenen überrascht wie der folgenden, und Leiber als einen Autoren entlarvt, der sowohl NewWave der 60er und den Cyberpunk der 80er achselzuckend schon Jahrzehnte davor im Vorbeischlendern erledigt hat.

TOLLHEITEN DES 3. JAHRTAUSENDS

KUSS- UND STREICHELKONSERVEN!
Knutschen mit Lieblingsstar übertrifft alle Fühlstulpen

PSYCHE IN 10 MINUTEN DURCHLEUCHTET!
Bewältigen Sie die Kindheit
Sie werden sich neugeboren fühlen

VERDRISCH DEINE ALTE!

MORD AN MARS-MENSCHEN!

FLUORESZIERENDE TÄTOWIERUNGEN!

Das waren nur einige von den Leuchtreklamen, die Phil entgegenleuchteten und -blitzten, während er über das elastische, gummifizierte Gelände des All Pleasures Amusement Parks geschoben wurde.
Nachdem die Regierung das Syndikat erledigt und die Freizeitgestaltung seiner Bürger wieder fest in den Griff bekommen hatte, hatte sich im APA-Park so manches verändert. Die Buden mit den Pornorobotern waren geschlossen und versiegelt. Niemand konnte sich mehr für 25 Cent den Perfekten Orgasmus vorführen, geschweige denn für das Doppelte an sich selbst vollführen lassen. Die Damen, die mit Konzessionen arbeiteten, hatten die Ausschnitte etwas weiter über den Busen gezogen. Nirgends einer von den Typen mit dem verschlagenen Blick, die Kunden für Spezialparties einfingen. An einer Bude wurde gerade die Tafel über dem Eingang abgeschraubt:

DAS TOLLE WEIB MIT DEN VIER TITTEN
Reinkommen und Anschauen
Wertung: Die Zukunft ist jetzt! Lies und weine, wenn Du den Witz nicht kapierst.

Rezension aus MEH, 09.06.2006, um 19:11 Uhr