Freitag, 3. Oktober 2008

Der Untergang

Dieses, meine Damen und Herren, war also wohl der Tag der Deutschen Einheit. Und da haben wir schon das erste Malheur: Was fängt man eigentlich damit an? Wie erkläre ich's dem Kind? War jetzt nicht doch Volkstrauertag? Und was wünschen wir uns jetzt? Fröhe Weihnacht ja wohl nicht - frohe Einheit? Fröhliches Vereinheiten? Alles Gute? Augen zu und durch?
"Zu Hamburg frug ich: warum so sehr
Die Straßen stinken thäten?
Doch Juden und Christen versicherten mir
Das käme von den Fleeten."
Als geborener Hamburger hätte der Tag eigentlich von ganz besonderem Interesse für mich sein sollen: Schließlich sind die Feierlichkeiten zur Vereinheitlichung dieses Jahr ja an der Elbe gewesen. Ja, selbst die Kanzlerin war anwesend, wieder eine verpasste Gelegenheit. In Hamburg also, dieser unheimlich nationalistischen Stadt, von der selbst der grosse Heinrich Heine zu berichten wußte, hat man heute die Einheit unter dem Schlagwort "Kulturnation" hochleben lassen. Was sind wir doch für schlaue Kerlchen.

Ich denke mal mit dem Zauberwort 'Kultur' kann man heutzutage so ziemlich alles rausreissen. Da brauchen wir auch nicht mehr zu jammern, wie schlecht es uns allen geht, wie brutal die Arbeitslosengeld II-Mafia ist oder wie geil die RAF eigentlich war. Oder wie brutal geil mein neues Jamba-Klingel-Komplettpaket ist. Mhhhhhmmm... Kulturnation... Nicht, dass Kultur und Nation einander nicht irgendwie ausschliessen, bzw das eine eigentlich vor dem anderen liegt. Kultur gibt es immer, Nation ist eine Idee des 19. Jahrhunderts, das heißt eine falsche. Statt "Kulturnation" hätte man ja auch das alte Bonmot vom Land der Dichter und Denker bemühen können, aber mit dem Denken haben wir's ja nicht mehr so sehr. Unser geschätzter Bundespräsident fasste die letzten zwanzig Jahren mit herzergreifenden Worten zusammen:
"Sicher: Manches dauert länger als gedacht, es gab und gibt Härten und Enttäuschungen. Doch wer die Augen aufmacht, der sieht: Wir haben viel erreicht. Vielleicht ist es weniger, als manche in der ersten Euphorie erhofft haben. In Wirklichkeit ist es sehr viel mehr, als manche sehen - oder sehen wollen."
Ja, wir haben viel erreicht. Die großen Deutschen der letzten zwanzig Jahre waren Claudia Schiffer, Michael Schuhmacher und Dieter Bohlen. Wirklich herausragende Kennzeichen einer Kulturnation. Vielleicht ist es weniger, in Wirklichkeit ist es sehr viel mehr. Oder andersherum. Warum nur erinnert mich das nur an ein paar Zeilen aus Saul Aschers "Germanomanie" (sollte man auch mal wieder lesen), die eigentlich genausogut passen würden?
"Es darf nicht befremden, wenn in diesem fieberhaften Zustande, in welchem die Menschheit ein Vierteljahrhundert vegetierte, denkende Köpfe, vorzüglich in Deutschland, wo bisher immer mehr gedacht als gehandelt worden, in dem chaotischen Zustand der Dinge bald das Heil der Welt erblickten, bald aber wieder den Untergang der Weltordnung ahneten."

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