Montag, 27. Oktober 2008

Aus Lovecrafts Notizbuch [2]

Abscheuliches altes Buch wird entdeckt - Anweisungen für schockierende Beschwörungen.
Buch oder MS, das zu entsetzlich ist, als daß man es lesen könnte - Warnung vor seiner Lektüre. Jemand liest es und wird tot aufgefunden.
Buch, das beim Lesen einschläfernd wirkt - man kann es nicht lesen. Ein Entschlossener liest es - wird verrückt. Von betagtem Eingeweihten werden Vorsichtsmaßnahmen getroffen, der als Autor und Übersetzer weiß, wie er sich durch Beschwörung schützt.
Die Lektüre eines entsetzlichen Buches oder der Besitz eines abscheulichen Talismans bringt jemanden in Berührung mit schockierenden Träumen oder einer Welt der Erinnerung, die ihm schließlich den Untergang bringt.
Eigenartiger Geruch von Buch aus Kindheit führt zur Wiederholung kindlicher Phantasie.
Eine abscheuliche Welt überlagert die sichtbare. Durchgang - eine Macht führt den Erzähler zu einem uralten und verbotenen Buch, das Anweisungen für den Zutritt enthält.
Entsetzliches Buch wird flüchtig in uraltem Laden erblickt - dann nie mehr gesehen.
Etwas Entsetzliches in einem vielleicht vertrauten Buch zu finden und es dann nicht mehr finden zu können.


Eine erstaunliche Anzahl von Einträgen in Lovecrafts Notizbuch befasst sich mit dem Schrecken, die auf den Seiten eines Buches verborgen liegen. Es ist nicht so sehr das geheime und arkane Wissen, das hier vielleicht verschlüsselt liegen mag, das das Grauen darstellt, sondern bereits der schiere Akt des Lesens, der einen unvorsichtigen Leser in Welten entführen kann, die fremd und unbekannt sind. Etwas, das eigentlich einem jedem Leser irgendwie bekannt vorkommen sollte. Hatte Lovecraft bei der fast paranoiden Xeno- und Neophobie, die ihn zeit Lebens plagte, etwa auch Angst vor den Neuen und Fremden Ideen, denen man auf den Seiten eines Buches begegnen kann? Um wie viel ironischer müsste dies dann aus heutiger Sicht erscheinen, die Lovecraft selbst vor allem als Schöpfer eines der erfolgreichsten Neo-Mythen der letzten Jahrhunderte kennt!

Seltsames Buch des Grauens wird in alter Bibliothek entdeckt. Abschnitte von entsetzlicher Bedeutung werden abgeschrieben. Später unmöglich, Buch zu finden und Text zu verifizieren. Vielleicht entdeckt man einen Körper oder ein Bild oder ein Zaubermittel unter dem Boden, in einem Geheimfach oder sonstwo. Einfall, daß das Buch lediglich eine hypnotische Täuschung war, herbeigeführt durch totes Gehirn oder uralten Zauber.
Verlust der Erinnerung und Eintritt in eine bewölkte Welt seltsamer Anblicke und Erlebnisse nach einem Schock, Unfall, der Lektüre eines merkwürdigen Buches, der Teilnahme an einer merkwürdigen Zeremonie, dem Trinken eines seltsamen Gebräus usw. Das Gesehene wirkt auf vage und beunruhigende Weise vertraut. Auftauchen. Unfähigkeit, den Weg zurück zu verfolgen.
Vision, die sich durch ein übles Buch auftut.


Natürlich kann die Lektüre eines Buches etwas Schreckliches sein. Sie kann verzaubern, verstören, schockieren, wie Lovecraft es nennt, und im besten Fall ernüchtern. Dann nämlich, wenn das Wissen, das der Leser aufnimmt, die Illusionen und Selbsttäuschungen zunichte macht, denen man sich wohlig hingegeben hat. Nur der Autor oder Übersetzer weiß, wie er sich schützen kann – der Leser jedoch fällt der zerstörerischen Wirkung der Lektüre zum Opfer und wird verwandelt. Und wie schrecklich: Dieses Wissen kann nicht mehr genommen werden, es sei denn durch einen bewussten Akt der Verleugnung, die in diesem Fall gleichbedeutend mit einer milden Form des Wahnsinnes wäre. Unfähigkeit, den Weg zurück zu verfolgen. Der Autor als semiotischer Horrorist und Hexenmeister, der mit Bewusstseinen und Seelen sein satanisches Glasperlenspiel abzieht. 23 Skiddo!

Mancher Leser mag in diesem Fall in der wenig beneidenswerten Situation jenes Mannes wieder finden, der lieber in der Matrix geblieben wäre und bewusst versucht, die Illusion wieder zur Realität zu erklären, auch wenn dazu Verrat und Mord notwendig sind. Und das ist vielleicht der größte Schrecken von allen, die Logophobie, die panische Angst vor dem Wort und der damit verbundenen Erkenntnis. Natürlich, manche Menschen werden schon wahnsinnig, wenn sie begreifen, dass es schon wieder Montagmorgen ist und die nächste Arbeitswoche direkt vor ihnen liegt. Der tentakelbewehrte Horror, der in diesem Moment aus den Seiten eines wurmstichigen Folianten sickert, kann sich kaum damit vergleichen.

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