Dienstag, 29. April 2014

Nur mal so nebenbei...

Christoph Martin Wieland (1733–1813) schreibt im dritten Kapitel des Ersten Buches seines Feenromanes "Don Sylvio" einige Sätze, die ich ähnlich oder genauso auch in ethnologischen u.ä. Schriften gelesen habe:

Die Natur selbst, deren anhaltende Beobachtung das sicherste Mittel gegen die Ausschweifungen der Schwärmerei ist, scheint auf der andern Seite durch die unmittelbaren Eindrücke, so ihr majestätisches Schauspiel auf unsre Seele macht, die erste Quelle derselben zu sein.

Das angenehme Grauen, so uns beim Eintritt in den dunkeln Labyrinth eines dichten Gehölzes befällt, beförderte ohne Zweifel den allgemeinen Glauben der ältesten Zeiten, daß die Wälder und Haine von Göttern bewohnt würden. Der süße Schauer, das Erstaunen, die gefühlte Erweiterung und Erhöhung unsers Wesens, die wir in einer heitern Nacht beim Anblick des gestirnten Himmels erfahren, begünstigte vermutlich den Glauben, daß dieser schimmervolle, mit unzählbaren nie erlöschenden Lampen erleuchtete Abgrund eine Wohnung unsterblicher Wesen sei.

Das ist sicherlich die gleiche zauberhafte Welt, deren Ende mit dem Anbeginn der Industrialisierung und modernen Wissenschaft (die "Entzauberung der Welt" oder "Sezierung des Wunderbaren") zusammenfällt. Es ist zugleich auch die ursprüngliche Mythopoeia.

Dass der Himmel die Heimat unsterblicher Wesen ist, ist wohl keine allzu bizarre Idee, von den unvergänglichen Sternengöttern der alten Ägyptern bis hin zum unsterblichen Lamm Gottes, das jedes Jahr zum Frühlingsäquinoktium als Sündenbock der Menschheit stirbt, um nach drei Tagen wieder aufzuerstehen.

Und irgendein seltsamer Mann hat einmal darauf hingewiesen, dass "glauben" ursprünglich nur bedeutete "etwas für lieb halten; gutheißen". Die heitere Nacht? Wer kann das nicht gut finden?

Ich weiß zwar nicht, ob Herr Wieland ein kleiner arroganter Pinsel war (weiß ich schon, aber interessiert hier nicht), aber anscheinend war er der Meinung, dass Mythopoeia nur etwas für Bauern ist. Jedenfalls geht das bereits angefangene Zitat folgendermaßen weiter: (Ob er sehr beliebt war bei den Glaubenden und Poeten seiner Zeit? Oder ist ihm gar nicht bewusst, was er über sich selbst aussagt?)

Aus dieser Quelle kommt es vermutlich, daß die Landleute, denen ihre Arbeiten keine Zeit lassen, die verworrenen Eindrücke, so die Natur auf sie macht, zu deutlicher Erkenntnis zu erhöhen, überhaupt aberglaubischer als andre Leute sind; daher die körperlichen Geister, womit sie die ganze Natur angefüllt sehen; daher die unsichtbare Jagden in den Wäldern, die Feen, die des Nachts auf den Fluren im Kreise tanzen, die freundlichen und die boshaften Kobolte, der Alp, der die Mädchen drückt, die Berg-Geister, die Wasser-Nixen, die Feuer-Männer, und wer weiß, wie viel andre Hirn-Gespenster, von denen sie so vieles zu erzählen wissen, und deren Würklichkeit bei ihnen so ausgemacht ist, daß man sie nicht leugnen kann, ohne in den Augen der meisten von ihrer Classe entweder albern oder gottlos zu scheinen.

Christoph Martin Wieland (1733–1813): "Der Sieg der Natur über die Schwärmerei, oder: Die Abenteuer des Don Sylvio von Rosalva"

Keine Kommentare: