Samstag, 15. Januar 2011

Rückkehr zur Sterbenden Erde [1]


Rückkehr zur Sterbenden Erde, ein Essay

I had a dream, which was not all a dream.
The bright sun was extinguished, and the stars
Did wander darkling in the eternal space,
Rayless, and pathless, and the icy Earth
Swung blind and blackening in the moonless air;

Als George Gordon Noel, der sechste Baron Byron im Juli 1816 sein viel gerühmtes Gedicht Darkness verfasste, hatte der Ausbruch des Berges Tambora globale Klimaanomalien hervorgerufen, die ein „Jahr ohne Sommer“ hervorbrachten. Das endgültige Verlöschen der Sonne war prophezeit worden, und Furcht, Melancholie, Selbstmord und religiöser Eifer erfasste Europa. Die Vorstellung, am Ende der Zeiten zu leben und Zeuge des Unterganges der Schöpfung zu sein, reizte die dunklen Seelen der Romantiker, die bislang ihre gedankenschweren Manuskripte in den Ruinen alter Klöster und Festungen verfassten. Es ist ein starkes Bild, das auch überleben sollte, als das Jahr ohne Sommer und die Weltuntergangsprophezeiungen verstrichen, wie sie es gewöhnlich zu tun pflegen. Aber man denke nur – die Sonne verlöscht und die eisige Erde schwingt blind und schwarz durch einen leeren Raum!

Die Romantik suchte das Schreckliche und das Erhabene, und wie so vieles blieb das Bild der sich verdunkelnden Erde in der Leere des Raumes zumindest in ihrem illegitimen Kind, der Phantastik, erhalten. Was ist erhabener als die Ruinen eines einst stolzen Reiches? Was schrecklicher als der Friedhof einer ganzen Welt? Manuskripte, verfasst in den Ruinen der Welt, in den Ruinen meines Verstandes, in den Ruinen unserer Träume… Das Bild der Sterbenden Erde – als Vision des Hobbyapokalyptikers oder als Subgenre der phantastischen Literatur – ist sicherlich ein starkes. Die Sterbende Erde ist leicht identifizierbar und nicht zu verwechseln, egal unter welchem Namen sie sich verbergen mag. Die Sonne ist fast erloschen und während die Wissenschaft und die lange Geschichte des Planeten fast völlig in Vergessenheit geraten ist, ist Magie wieder zu einer dominierenden Kraft aufgestiegen, oft in Verbindung mit Aberglauben, Barbarei, Pessimismus und einer in Selbsthass übergehenden Menschenfeindlichkeit. Dies ist nicht schlimm, denn es gibt auch nichts mehr, für das es sich zu leben lohnt: die Erde ist wüst und kalt geworden, und das Abhumane, das Barbarische, und oft auch das Endprodukt einer divergenten Evolution triumphiert in den letzten Ruinen der Menschheit. Die nahe liegenden Themen dieses Subgenres sind somit ein essentieller Weltschmerz, ein zum Untergang verdammter Idealismus, Hoffnung auf Erneuerung und das Scheitern derselben, der Mangel an Unschuld, an Ressourcen, an Licht, kurz, die allgemeine Entropie aller kulturellen und psychischen Merkmale.

Man mag der Faszination mit der Sterbenden Erde einen gewissen metaphysischen (Kultur-)pessimismus unterstellen, und darauf hinweisen, dass dieses Bild wie jeder Futurismus nur eine Projektion der jeweiligen Vorlieben des Autoren ist. Tatsächlich ist der hier aufgezeichnete Endsieg der Entropie – die ultimative Dystopie – wahrscheinlicher als jedes goldene Utopia, zu dem die Sternenschiffe unserer Jugend segeln möchten. Im scheinbar regellosen Verhalten chaotischer Systeme wie dem Bewusstsein des Menschen gibt es immer verschiedene „Wege ins Chaos“, und das Systemverhalten für eine bestimmte zukünftige Zeit zu berechnen, ist praktisch unmöglich. Also ist die einzig wirkliche mögliche Zukunft diejenige, die grundlegend chaotisch und entropisch ist; der Zeitenstrom umspült keine sicheren Gestade, sondern folgt einer scheinbar irregulären inneren geometrischen Struktur.

aus: PLANET DER VERDAMMTEN, Axel M. Gruner (2011)

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