Montag, 17. Januar 2011

Rückkehr zur Sterbenden Erde [2]


Rückkehr zur Sterbenden Erde, ein Essay

Der Zeitreisende in H.G.Wells Roman The Time Machine (1895) folgt als erster dem Ruf der Entropie und gelangt ans Ende der Zeit, eine triste Einöde, in der es außer einem krabbenartigen Wesen kein leben mehr zu geben scheint. Dieser Zeitreisende jedoch ist gewitzter als so manche andere – er kehrt zurück und unterhält seine gut situierten viktorianischen Mitbürger mit wohligem Schaudern. Er sollte nicht der erste Abenteuerer sein, der mit Geschichten vom Kampf und Sieg der letzten Menschen in unsere Gefilde zurückkehren sollte. Edmund Hamiltons The Lost World of Time (1941) und The Time Axis (1948) von Henry Kuttner adaptieren das Thema für die Seiten der Pulps, aber hier ist die Sterbende Erde nur eines von vielen phantastischen Universen nebenan – verlorene Welten, Zwielichtzonen, auf der anderen Seite der Sonne, im Inneren der Erde, im Inneren eines Atoms – gerade gut für ein Abenteuer oder eine einzigartige, sonderbare Geschichte. Die dunklen Visionen, die William Hope Hodgson in seinen Romanen The House on the Borderland (1908) und The Night Land (1912) ausbreitet, bieten nicht das einfache Entkommen in die Tiefen eines Lehnstuhles. Die Sterbende Erde, die die namenlosen Helden dieser Erzählungen besuchen, ist definitiv dem Untergang geweiht. Es herrscht beständiges Dunkel, und am Horizont schleicht unverstellbares umher, das Abhumane – gigantisch, stumm, blind, monströs.

Die nächsten Verwandte von Hodgsons Visionen sind die Erzählungen, die der kalifornische Maler und Schriftsteller Clark Ashton Smith beginnend im Jahre 1932 im legendären (und einzigartigen) Magazin Weird Tales veröffentlichte. Die Geschichten von der Sterbenden Erde, oder präziser von Zothique, dem Letzten Kontinent, bilden einen der umfangsreichsten, beeindruckendsten und bedrückendsten vom Mr. Smiths Zyklen, vage inspiriert von theosophischen Spekulationen über untergegangene und zukünftige Kontinente. Zothique ist der letzte Überbleibsel der eurasischen Landmasse, so scheint es, aber jede Spur der Vergangenheit ist längst vom Wüstensand ausgelöscht worden. Es ist eine artifizielle Welt des Non-Sequiturs, es gibt keine Überlebenden, die für die nächste Geschichte zur Verfügung stehen würden. Der wahre Protagonist von Zothique ist die schillernde Prosa von Clark Ashton Smith, reich an Arabesken und dunkler Poetik, mit der er diese bizarre Welt zum Unleben erweckt. Vampirblumen im Garten des Adomphas! Die Insel der Folterer! Die makrokosmischen Hengste des Thamagorgos! Mordiggian der Beinhausgott! Es sind schwarze Phantasien aus der 1001. Nacht, die der Décadence oder dem düsteren Symbolismus der Rosenkreuzersalons näher stehen als den Pulpmagazinen, in denen sie ursprünglich veröffentlicht wurden.

Ein anderes, aber ebenso einprägsames Bild der Sterbenden Erde finden wir als eine der tausend kunterbunten Konfettiwelten des großen Jack Vance, mit Namen „die Sterbende Erde“ (The Dying Earth, 1950 und folgende). Auch diese Welt erkaltet, ist dem Untergang geweiht und birgt nicht viel Aussicht auf Besserung, aber die trostlose Szenerie steht in krassen Widerspruch zu dem putzmunteren Treiben der letzten skurrilen Weltenbürger. Pittoreske Zauberer feilschen um Zaubersprüche oder fliegen per Magie an den Rand der Galaxis, Homunculi und Wegelagerer jagen einander die Schätze der Vergangenheit ab, und ein Dieb namens Cugel trickst sich von einer verfahrenen Lage zur nächsten, noch schlimmeren. Gene Wolfe's The Book of the New Sun (1980–83) ist geradezu eine Fortsetzung von Jack Vance Welt, selbst nach Aussage des Autoren, sozusagen eine Rückkehr zur Sterbenden Erde, nur anders, und Mr. Wolfe sollte nicht der einzige sein, der zur Sterbenden Erde zurückkehren sollte, zu den erkaltenden Landen und der sich verdunkelnden Sonne.


aus: PLANET DER VERDAMMTEN, Axel M. Gruner (2011)

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