Das Papier der japanischen Stellwände war mit stylisierten Wellen aus oranger Tusche bemalt, mit goldenen Kämmen, die in sattes Mitternachtsblau ausbluteten. „Guten Abend,“ sagte der bleiche Mann, nachdem er die Tür hinter sich geschlossen hatte, „man sagt mir, Sie wünschen mich zu sprechen.“
„Wir wünschen in ihren Selbstmordklub einzutreten,“ versetzte Hiram Kobalt. Amadeus und er hatten nach einer halben Stunde Warten Platz genommen und stumm die Einrichtung betrachtet. Ihnen war bewusst, dass überall verborgene Sichtlöcher und Spiegel waren, aus denen man sie beobachtete.
Der Präsident rollte, statt zu antworten, seine Zigarre im Munde herum. Für einen kurzen Augenblick wurde das glitzernde feuchte rote Fleisch inmitten der Finsternis sichtbar; die Zigarre ein Tentakel, an dessen Ende rot ein Auge pulsierte.
„Was ist das?“, fragte es höflich.
„Entschuldigen Sie,“ entgegnete Hiram, „aber ich glaube, Sie können darüber am besten Auskunft geben.“
„Ich?“ rief der Präsident. „Ein Selbstmordklub? Das ist ein Scherz, oder? Beim Wein lasse ich mir solchen Spaß gefallen, – aber was soll das hier?“
„Der Selbstmord des Universums,“ sagte Hiram, „Sie wissen, worum es geht, und wir wollen uns ihnen anschließen.“
„Sie sind im Irrtum,“ erwiderte der Präsident kurz. „Dies ist ein Privathaus, das Sie sofort zu verlassen haben.“
Amadeus war während dieser kurzen Unterhaltung ruhig auf seinem Stuhle sitzengeblieben; jetzt aber konnte er es nicht lassen, die Augen zu verdrehen.
„Ich bin auf die Einladung eines Ihrer Freunde hergekommen, Paul Walker, der Wandelnde Geist. Sie kennen ihn“, protestierte er. „Er hat Ihnen zweifellos von meiner Absicht, mich Ihrer Gesellschaft anzuschließen, Mitteilung gemacht. Vergessen Sie nicht, dass eine Person in meiner Lage wenig Rücksichten kennt und nicht gewillt ist, sich so behandeln zu lassen. Ich bin für gewöhnlich ein sehr ruhiger junger Mann, aber, mein werter Herr, Sie werden entweder meinen kleinen Wunsch erfüllen oder es bitter bereuen, mich jemals in Ihr Vorzimmer gelassen zu haben.“
Der Präsident lachte laut.
„So muss man reden,“ sagte er. „Sie sind wohl ein ganzer Mann. Sie kennen den Weg zu meinem Herzen und können mit mir nach Belieben schalten. Wollen Sie,“ wandte er sich an Hiram, „wollen Sie auf ein paar Minuten beiseitetreten? Ich will zunächst mit Ihrem Genossen ins Reine kommen, und die Klubgesetze schreiben eine Einzelprüfung vor.“
Damit öffnete er die Tür zu einem kleinen Seitengemach, das er hinter Hiram abschloss. Amadeus konnte die hundert Kameraaugen sehen, die Kabel, den glitzernden Monitor, über den träge die Regenbogensphären ferner Universen rollten.
Neben der Tür des Seitengemachs eine Kontrolltafel mit vier roten Knöpfen. Würde er Hiram wiedersehen? Er war nun ganz allein mit dem Präsidenten, dem bleichen Mann, der Inkarnation seines Todestriebes.
„Ich vertraue Ihnen,“ sagte er zu Amadeus, sobald sie allein waren, „aber sind Sie Ihres Freundes ganz sicher?“
„Nicht in dem Maße wie meiner selbst, wenn seine Gründe auch zwingender sind,“ antwortete Amadeus, „aber sicher genug, um ihn unbesorgt hierher bringen zu können. Die Menschheit ist vom Untergang bedroht, und wir sind ihre letzte Hoffnung. In diesem Fall würde wohl auch der Zäheste lebenssatt werden.“
„Der Grund ist nicht schlecht, meiner Treu,“ erwiderte der Präsident; „wenigstens haben wir einen zweiten im gleichen Falle, und ich bin seinethalben beruhigt. Waren Sie auch im Dienst?“
„Ja“, antwortete Amadeus, „aber ich war zu träge.“
„Und warum wollen Sie das Leben los sein?“ forschte der Präsident weiter, und ein feuchter, fleischiger Schlitz bebte entlang seiner Gurgel. Gewissenhaft aschte er die Zigarre ab, das rotleuchtende Auge fiel in den gläsernen Aschenbecher in Form eines Totenkopfes.
„Aus demselben Grunde, wie mir scheint,“ antwortete Amadeus, ohne darauf zu achten, „wegen unverbesserlicher Trägheit.“
Der Präsident fuhr auf. „Verdammt,“ sagte er, „Sie müssen einen besseren Grund haben. Ein Körper verharrt im Zustand der Ruhe oder der gleichförmig geradlinigen Bewegung, sofern er nicht durch einwirkende Kräfte zur Änderung seines Zustands gezwungen wird.“
„Ich habe keine Mittel mehr,“ fügte Amadeus hinzu. „Das ist natürlich eine Plage mehr und bringt meine Trägheit zu einem kritischen Punkt.“
„Ein kritischer Punkt?“
„Die Realität dieses Daseins – es ekelt mich an“, log Amadeus. „Oder vielleicht auch das Dasein dieser Realität?“
„Sie wollen die Wirklichkeit flüchten?“
„Auf die eine oder andere Weise“, bestätigte Amadeus.
„Selbst unter Schmerzen? Selbst wenn es bedeutet, jeden einzelnen Teil Ihrer Person in tausend Fetzen zu sprengen?“
„Selbst dann.“
„Und Sie verstehen sich dennoch als unverbesserlich träge?“
„So ist es.“
Der bleiche Mann zögerte. „Ich weiß nicht, ob die Klubgesetze in diesem Falle zutreffen, mein Herr. Nicht nur die Masse, sondern auch jede Form von Energie unterliegt dem Trägheitsprinzip, selbst die Seele – wenn es sie denn gibt. Es ist närrisch, sich fortbewegen zu wollen, wenn Sie der Veränderung ihres Bewegungszustands widerstand entgegensetzen. Ich sehe hier keinen Ausweg.“
„Mei“, protestierte Amadeus. „Dann wird‘ ich aber keine Rücksichten kennen und…“
Der bleiche Mann drückte auf den roten Knopf.
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