Sonntag, 11. Juni 2017

Mythos :: Der unbekannte Mr. Kirowan


Einige Notizen zu einer Nicht-Serie von Robert E. Howard

(Zu seinem 81. Todestag)

Robert E. Howard (1906 – 1936), der dunkle Kelte aus Texas, hat neben vielen interessanten und fesselnden Abenteuergeschichten in historischem und pseudo-historischem Milieu auch mehr als eine Weird Fiction-Geschichte hinterlassen. Viele davon eher konventionell, nicht seine besten, und einige, die – wohl seiner Brieffreundschaft mit H.P.Lovecraft geschuldet – Anklänge an den Mythos haben, oder diesem direkt zuzuordnen sind. Auch diese sind nicht unbedingt seine besten, aber Howard war ein so erstklassiger Erzähler, dass es ihm unmöglich war, eine langweilige Geschichte zu verfassen.

Von diesen Geschichten werden einige in der Literatur oft zu einer "Serie" zusammengefasst, da in ihnen die gleichen Personen vorkommen – manchmal werden diese sogar dem Genre der "okkulten Detektive" zugeordnet. Gewöhnlich wird diese "Serie" – und wir werden gleich sehen, dass es eine "Nicht-Serie" ist – nach den Protagonisten "Conrad" und "Kirowan" benannt. Es sind folgende Geschichten, von denen nur die ersten vier zu Howards Lebzeiten publiziert oder verkauft wurden. Nicht alle der Geschichten werden in jeder Auflistung berücksichtigt, auch dies ein Indiz, dass man sich wohl doch nicht so sicher ist:

  • 1. "The Children of the Night" – zuerst veröffentlicht in "Weird Tales", Ausgabe April-Mai 1931
  • 2. "The Thing on the Roof"– zuerst veröffentlicht in "Weird Tales", Ausgabe Februar 1932
  • 3. "The Haunter of the Ring" – zuerst veröffentlicht in "Weird Tales", Ausgabe Juni 1934
  • 4. "Dig Me No Grave" – zuerst veröffentlicht in "Weird Tales", Ausgabe Februar 1937, auch veröffentlicht unter dem Titel "John Grimlan's Debt".
  • 5. "Dermods Bane" – zuerst veröffentlicht in "Magazine of Horror", Ausgabe Herbst 1967.
  • 6. "The Dwellers under The Tombs"– zuerst veröffentlicht in "Lost Fantasies 4", 1976
  • 7. "The House" (Fragment) – eine von August Derleth abgeschlossene Fassung erschien unter dem Titel "The House in the Oaks" in "Dark Things", 1971


Wie man sieht, kann man die meisten dieser Geschichten, da inzwischen gemeinfrei, auch so lesen. Keine von ihnen ist langweilig, auch wenn einige sicherlich fesselnder als die anderen sind. Von allen Geschichten ist wahrscheinlich "The Haunter of the Ring" die bekannteste, weil der namensgebende Ring des stygischen Zauberers Thot-Amon derselbe ist, der in der ersten Conangeschichte "The Phoenix on the Sword" (veröffentlicht in "Weird Tales", Ausgabe Dezember 1932). Weiterhin interessant ist "The Thing on the Roof" mit seinen Anklängen an "unaussprechliche Kulte" á la Lovecraft. Der Erzähler in "The Thing on the Roof" wird namentlich nicht erwähnt, und "The House" liegt nur fragmentarisch vor, weswegen wir diese beiden Geschichten ignorieren können.

Nun darf man eins nicht vergessen: Howard war es unmöglich, langweilig zu schreiben, aber er hatte nicht immer ein glückliches Händchen mit der Auswahl seiner Namen. Meistens orientierte er sich – auch in seinen Conanstories an historischen Namen – aber wenn es darum ging, "exotische" Namen zu kreieren… nun ja. Exotische Städte heißen Xapur, Xuchotl, Xuthal; exotische Monster Thak, Thog oder Thaug, und dann gibt es noch Koth, Kuth und Koth… bei den Menschen erging es ihm nicht anders. "Conan" war nicht der erste Conan, von dem er geschrieben hat, und manche Namen wiederholen sich immer und immer wieder. Es ist auch nicht ausgeschlossen, dass Howard unterschiedliche Namen für den gleichen Charakter verwendete, wenn er für unterschiedliche Magazine schrieb, die seine Geschichten veröffentlichen wollten. Seine orientalischen Geschichten über Francis Xavier Gordon (El Borak) ist kaum von denen über Kirby O'Donnell zu unterscheiden, und so weiter. Und wo wir gerade bei O'Donnell sind…

Alle oben aufgeführten Geschichten haben gemeinsam, dass sie einen Ich-Erzähler haben, dessen Name also nicht ganz so offensichtlich ist wie der jener Personen, über die er berichtet. Der Ich-Erzähler in "The Children of the Night" heißt John O'Donnell, in "The Haunter of the Ring" Michael O'Donnell, in "The Dwellers under The Tombs" wieder John O'Donnell, allerdings nicht derselbe, denn der in "The Children of the Night" wird in einer Art Rassenwahn zu einem mordlustigen Verrückten, und diese Geschichte spielt auch in einer Welt, in der Lovecraft und sein "The Call of Cthulhu" existieren. Etwa unsere Welt? – das wäre nun wirklich zu schrecklich. Das heißt auch, dass alle anderen Geschichten, die im Universum des Mythos spielen, ohne seine Erfinder zu zitieren, mit jener unvereinbar sind. Vergessen wir also "The Children of the Night", und dann ist die Nicht-Serie schon auf vier Titel zusammengeschmolzen. Ja, die O'Donnells… und wie um zu unterstreichen, dass Robert E. Howard mit Namen nicht immer ein glückliches Händchen hatte, taucht in "The Haunter of the Ring" sogar noch ein Dr. Donnelly auf.

Kommen wir nun zu den wirklich interessanten Familien. In "The Children of the Night" (das wir ja ignorieren), spielt sich alles im Arbeitszimmer eines "Conrad" ab, dabei ist noch ein Professor Kirowan, ein wissenschaftlicher Skeptiker. In "The Haunter of the Ring" ist der eigentliche Held der Geschichte, der den Dämon des Ringes vertreibt, ein verbitterter Ex-Okkultist namens John Kirowan, vom Charakter und Aussehen ähnlich dem puritanischen Abenteurer Solomon Kane. Er ist sicherlich auch der interessanteste der sich vorstellenden Kirowans.

Ein anderer Kirowan (ohne Vornamen) ist der Ich-Erzähler in "Dig Me No Grave" und "The House", in denen ebenfalls ein Mr. Conrad auftaucht, der sich sehr für okkulte Dinge interessiert. In "The House" ist es James Conrad, in "Dig Me No Grave" wieder ein John, aber "The House" ist auch nie von Howard abgeschlossen worden, vielleicht handelt es sich hier tatsächlich um die gleichen Personen, und er ist nur mit dem Vornamen von Conrad durcheinander gekommen. "John Conrad" ist auch der aktive Part in der O'Donnell-Erzählung "The Dwellers under The Tombs", auch dies könnte dieselbe Person sein.

Der Ich-Erzähler Kirowan ist jedoch weder der Professor oder der düstere John Kirowan der anderen Erzählungen. Er hat von den okkulten Dingen, an denen er Teil hat, schlicht wenig bis keine Ahnung – in "Dig Me No Grave" ordnet er fehlerhaft den Berg Alamout der Assassinen den Yezidis zu – ist ja auch egal, eine orientalische Gefahr ist so gut wie die nächste.

Es ist verführerisch zu spekulieren, dass bei einer sorgfältigen Redaktion aus dem O'Donnell von "Tombs" auch jener Kirowan geworden wäre, aber es sind schon deutlich unterscheidbare Figuren. Der O'Donnell ist "Tombs" ist kein Gentlemandetektiv, sondern ein Texaner, der als erstes nach seinem Colt greift. Immerhin, ohne viel zu fälschen könnte man eine Serie um John (James?) Conrad konstruieren, drei Geschichten, die einigermaßen zusammenpassen würden. Aber halt! Da ist noch mehr!

In "Dermods Bane" taucht noch ein Kirowan als Ich-Erzähler auf, der von den erstaunlichen Geschehnissen während seines Aufenthaltes in der alten Heimat berichtet – leider, ja leider scheint es sich aber um einen Michael Kirowan zu handeln. Vielleicht ein Verwandter von John Kirowan, der immerhin als schwarzes Schaf seiner Familie gilt? Wenn dem so ist, kann man auch die weitere Familiengeschichte aus dieser Erzählung mit der des schwermütigen John aus "The Haunter of the Ring" verbinden.

Nun, was lehrt uns das? Es gibt keine Serie um "Conrad" und "Kirowan", sondern nur eine lose verbundene "Non-Serie"; da sind einige Erzählungen, in denen John Conrad den inkompetenten okkulten Nachforscher gibt, immer begleitet von einem Kirowan oder O'Donnell, und dann gibt es "The Haunter of the Ring" mit einem John Kirowan, der in die Abgründe der Schwarzen Magie abgetaucht ist und sich selbst davon wieder befreit hat; ein düsterer Charakter nicht unähnlich Solomon Kane. Ein Charakter, von dem es eigentlich noch mehr Stories geben sollte. Und da er ja inzwischen gemeinfrei ist, wird es dies wohl auch.

Illustration: Titelbild von "Journey into Mystery" # 1, Marvel Comics 1972,
mit einer (freien) Adaption von Howards "Dig Me No Grave"

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