Donnerstag, 25. Mai 2017

Mythos :: Inside, Outside, Darkseid




Notizen aus dem Schwarzen Buch

Der Outsider von H.P.Lovecraft ist eine seiner bekanntesten Geschichten, oft kopiert, doch nie erreicht. Sie berichtet von den Erinnerungen eines unbekannten Wesens, der sich selbst außerhalb aller menschlichen Sphären findet und schließlich nach einem anstrengenden Aufstieg und einer nächtlichen Wanderung durch die Wildnis in einem Festsaal wieder findet, wo der Blick in einen Spiegel seine Identitätskrise auf drastische Weise löst. Außergewöhnlich wie sie auch sein mag, haben wir hier wie so oft die Auflösung des Grauens in der Enthüllung – die kognitive Dissonanz, die in anderen Geschichten desselben Autoren so oft Wahnsinn und ein völliges Versagen aller mentalen Funktionen hervorruft.

Es ist die Konfrontation mit dem Fremden, die Lovecrafts Helden nicht überstehen können: Es ist die konservative Pose, dass die Welt wie sie ist gut sei, dasjenige aber, was den Gesetzmäßigkeiten und Traditionen widerspricht von Übel ist; bestenfalls Teil einer Gegenschöpfung – oder eines anderen Universums. Obwohl Lovecraft Agnostiker war, beschreibt er das Fremde dennoch gerne als blasphemisch (in der ursprünglichen Bedeutung „gotteslästerlich“. Dies ist der Quell des kosmisches Grauens – die Welt ist nicht so wohlgeordnet, wie es den Anschein hat, sondern ist in Wirklichkeit ein kriechendes Chaos, das von Mächten regiert wird, die den Menschen ebenso wenig verstehen oder achten wie dieser sie verstehen könnte.

Es ist nicht nur eine konservative Pose, sondern auch eine religiöse Pose – eine Frage des Glaubens. Es ist die alte theologische Frage nach der Existenz des Bösen und der Allmacht Gottes. Kurz zusammengefasst: Wenn Gott gut ist, warum gibt es das Böse, d.h. warum geschehen „guten“ Menschen schlimme Dinge. Wenn Gott das Böse geschehen lässt, ist er entweder nicht allmächtig oder nicht gut. Ein vollkommen allmächtiger (einziger) Gott würde alle Eigenschaften enthalten, dann gäbe es aber keinen Grund mehr, das Böse zu benennen. Die Dichotomie des Seins, exemplarisch vorgeführt am Charakter des Mythos.


Das Paradoxon Lovecraft: Rational war er ein Agnostiker, emotional ein Oneiromant, der die Realität von Träumen verwirklichte. Nun scheint Glauben nichts anderes zu bedeuten als Dinge, die allgemein für gut befunden werden, also im Grunde willkürlich gewählte Adjektive und Eigenschaften – es ist dennoch nicht Wissen. Und trifft dies nicht ebenso auf Lovecrafts wissenschaftlichen Agnostizismus zu? Die Postmoderne Kritik an Lovecraft geht an dem zugrunde liegenden Paradoxon vorbei, seine kritisierte Fremdenfeindlichkeit und alle anderen eigentümlichen Charaktereigenschaften sind diejenigen, die seinem Glauben entsprangen und als solche nicht ungewöhnlicher oder verwerflicher als die anderer Autoren, egal wie unangebracht sie dem heutigen Leser erscheinen.

Jedes Weltbild – jeder Glaube – entsteht durch die Geschichte, die ihm zugrunde liegt, und jede Geschichte ist auf die eine oder andere Weise von einem Antagonismus geprägt, der die (literarische) Schöpfung definiert: Hell/Dunkel, Außen/Innen, Leben/Anti-Leben, Gott/Anti-Gott. Im Glauben ist es immer das Andere, das Fremde, Unbekannte – der Schatten – der Schrecken und Furcht hervorruft – er ist eine Notwendigkeit, um den Widerspruch zwischen dem Glauben (dem Ideal) und der kognitiven Dissonanz der Welt an sich (der Wirklichkeit) zu erklären.

Für all jenes, das als gut befunden wird, wird automatisch etwas anderes als schlecht oder sogar böse definiert. Es ist somit die Kategorisierung, die willkürliche Wahl der Adjektive und Eigenschaften, die das Bild des Schreckens definiert. Erinnern wir uns hier daran, dass Lovecraft sehr oft von moderneren Kritikern sein von Adjektiven geprägter Stil bemängelt wird, so sehen wir, dass er tatsächlich in einer Art unbewusster Sprachmagie das Fremde/Böse heraufbeschwört.

Wir sehen hier eine Neuinterpretation des Außenseiters, mit einem unheimlichen Bezug zur Gnosis der Alten. Es ist nicht so sehr das Fremde, was uns bedroht, wir selbst sind Fremde in einem Fremden Land - das Universum, ungeschminkt, ist fremdartiger als alles was wir uns bis dato eingeredet haben. In Lovecrafts Werk steht die Gnosis immer am Ende der Erzählung, es ist dieser schmerzhaft empfundene Moment kognitiver Dissonanz und Zerstörung, der den Glauben ad absurdum führt, in dem die Maske fällt und die Wirklichkeit tatsächlich so wahrgenommen wird, wie sie ist – chaotisch und unberechenbar, zerstörerisch und vom Menschen nicht beherrschbar.

Die wahren Herrscher sind die blinden, idiotischen Archonten, die dies Universum als Kerker für unsere unsterblichen Seelen erbaut haben: Azathoth, Jaldabaoth, Saklas, Samael, der Blinde Gott, das Gift Gottes.


20. März 2015, während des Schreibens von "Der Insider"

Kirby Thorsday


Hela - die Göttin des Todes! aus "Journey into Mystery"
"Thor" und "Asgard" visualisiert by Jack Kirby, © by Marvel Comics.

Sonntag, 21. Mai 2017

Archetypisch cthulhoid

Below the thunders of the upper deep,
Far, far beneath in the abysmal sea,
His ancient, dreamless, uninvaded sleep
The Kraken sleepeth: faintest sunlights flee
About his shadowy sides; above him swell
Huge sponges of millennial growth and height;
And far away into the sickly light,
From many a wondrous grot and secret cell
Unnumber'd and enormous polypi
Winnow with giant arms the slumbering green.
There hath he lain for ages, and will lie
Battening upon huge sea-worms in his sleep,
Until the latter fire shall heat the deep;
Then once by man and angels to be seen,
In roaring he shall rise and on the surface die.
"The Kraken", Alfred, Lord Tennyson (1809–1892)


Und überall Friede, im Meer, in den Landen.
Plötzlich wie Ruf eines Raubtiers in Banden:
Das Scheusal wälzte sich, atmete tief,
Und schloß die Augen wieder und schlief.
Und rauschende, schwarze, langmähnige Wogen
Kommen wie rasende Rosse geflogen.


"Trutz, Blanke Hans", Detlev von Liliencron (1844 - 1909)

Sunday Pin-up

Das blauäugige Ding und der Donnergott haben ein "Missverständnis" in "Fantastic Four" No.73
"Thor" und "Asgard" visualisiert by Jack Kirby, © by Marvel Comics.

Samstag, 20. Mai 2017

Der Weltraum... unendlich und breit


Der Geist ist wie eine Pflanze - er wächst, wenn er begossen wird. Nein, kein Loblied auf den Alkohol. Die besten Ideen habe ich meistens, wenn ich im Regen wandere. Die hohe Kunst der Prokrastination, manchmal kommen solche Sachen auch, wenn man an gar nichts denken will, also während einer typischen 8-Stunden-Schicht, wenn der Wahnsinn an die Zimmerwände hämmert oder sich in der integralen Struktur der Programme widerspiegelt, mit denen man arbeiten muss. Hatte vor ein paar Tagen im Keller gekramt, um zu sehen, ob ich in den letzten 40 Jahren nicht doch mehr Science Fiction geschrieben habe, als das, an was ich mich erinnere. Ich dachte, so aus Gag wäre es doch witzig, eine von den ganz üblen Sachen aus meiner Kindheit mal schnell in einem vernünftigen Stil rauszurotzen. RetroSF im Stil der 30er Jahre! Photonenpistolen und heulende Zyklotrone! Sozusagen ein Abstecher in die Embryonalphase meiner Pulpwelten. Ach ja, jetzt weiß ich wieder, warum ich mich an manche Sachen nicht mehr erinnere. Captain Galaxo! Commander Dorrow! Powerrak! Was habe ich damals eigentlich gemacht? Anscheinend war ich ein großer Fan von Raumschiff Enterprise, Captain Future und Perry Rhodan. Achja, und Goldorak. Superroboter machen alles besser.

Regenidee 942:
Wenn Du mal nichts besseres zu tun hast, junger Jedi
  • RetroSF im Stil der 30er Jahre. Und wenn Du das wirklich schreibst, dann wie ein Autor aus der Zeit.
  • Vergiss alles andere. Vergiss Captain Galaxo. Klau bei Dir selber was besseres.

Richtig. Da unten im Keller liegt noch mehr. Und ich musste natürlich mich gleich hinsetzen und ein Exposé für eine Retro-SF-Serie hinhauen, die es sich gewaschen hat. Und die ich wahrscheinlich nie schreiben werde. Sonne macht dumm - Regen übermütig.

Mythos :: Die unheimlichen Carters [2]



Notizen aus dem Schwarzen Buch

"Der graue, alte Gelehrte, munter wie zu Lebzeiten, sprach lange und eindringlich von ihrem alten Geschlecht und von den sonderbaren Visionen der delikaten und sensitiven Männer, die es bestimmten. Er sprach von dem flammäugigen Kreuzfahrer, der den Sarazenen, die ihn gefangen hielten, wahnsinnige Geheimnisse ablauschte; und von dem ersten Sir Randolph Carter, der die Magie studierte, als Elizabeth Königin war. Er sprach auch von jenem Edmund Carter, der während des Salemer Hexengerichts dem Strang nur knapp entkommen war, und der in einem antiken Kasten einen großen, silbernen Schlüssel verwahrt hatte, der von seinen Ahnen auf ihn gekommen war."
H.P.Lovecraft: "Der Silberschlüssel"

Randolph Carter war nicht der erste und letzte seiner Familie, dem ein unheimlicher Ruf zu eigen war. Er war nur der Bekannteste. Auch einige seiner Ahnen, "tollkühne, verabscheute und fremdartig beseelte Männer" brachen Torwege durch die titanischen Mauern zwischen der Welt und dem außerhalb liegenden Absoluten. Es ist bereits von jenem Hexenmeister Edmund Carter gesprochen worden, der in den Bergen nahe Arkhams etwas von den Sternen herabrief oder aus den Krypten der innersten Erde heraufbeschwor, als er 1692 aus Salem dorthin fliehen musste, um dem Strang zu entgehen.
Aber es gab auch einen Sir Randolph Carter, einen Gelehrten zur Zeit der Königin Elisabeth - jemand, der im Verborgenen die Dinge tat, für die der wundersame Dr. John Dee später bekannt werden sollte, in dem manche seinen Kollegen und Mentor sehen. Manche unterstellen auch, dass es sich bei Dee und seinen Kollegen nicht nur um Wissenschaftler, sondern auch um eine besondere Art von geheimen Dienst im Auftrag der Königin gehandelt haben könnte - in dem Geheimzeichen von Dee war er sofort wieder zu erkennen... zwei Brillengläser mit Bügel... OO7.
Wir wissen heute nicht, was Sir Randolph Carter in der Abgeschiedenheit seines Anwesens von Linwood (heute Atwood) verrichtete. Er unterhielt Kontakte bis herab an die Barbarenküste und korrespondierte mit Ausländern und Verbannten (ein Puritaner aus der Familie Kane sei hier erwähnt). Aber so wie Dee verlor auch Carter die Gunst der Hofes spätestens mit der Thronfolge des für seine Hexenverfolgungen berühmten Jakob I. im Jahre 1603. Die Ländereien in Linwood verfielen, und das Geschlecht der Carters verstreute sich über die Kolonien zu Neuengland.
Es gab Hexer unter den Carters von Neuengland, aber auch strenge Puritaner, die sich von all den Gräueln der Alten Welt bewusst abwandten.
Vielleicht wussten sie, dass die Mauern, die die göttliche Ordnung vor dem außen liegenden fremden Absoluten schützten, bereits durchbrochen waren. Und dass dahinter das Blinde Chaos auf seinem Thron lauernd wartet, bis die Zeit gekommen ist, dass die Sterne recht stehen und alle Tore sich vor dem verbotenen Schlüssel der Wissenden öffnen.

Sonntag, 14. Mai 2017

Sunday Pin-up

Irgendwann endet die Reise ins Mysterium, und geht über in das komplett Phantastische. Götter gegen Außerirdische! Die Schwarze Galaxis! Der Lebende Planet! Zu diesem Zeitpunkt wurde die ursprüngliche Serie nach ihrem Helden umbenannt und hieß schlicht 'THOR'.
Ein Detail aus "The Mighty Thor" No.132
"Thor" und "Asgard" visualisiert by Jack Kirby, © by Marvel Comics. 
Als Repost und Korrektur von HIER

Donnerstag, 11. Mai 2017

Kirby Thorsday :: The Return


Der Ebergott aus "Journey into Mystery" No.103
(immer noch schweinegeil!)
"Thor" und "Asgard" visualisiert by Jack Kirby, © by Marvel Comics.

Montag, 1. Mai 2017

Mythos :: Die unheimlichen Carters [1]



Notizen aus dem Schwarzen Buch

"Die Berge hinter Arkham sind voll von unheimlicher Magie – von etwas, das vielleicht der alte Hexenmeister Edmund Carter von den Sternen herabrief oder aus den Krypten der innersten Erde heraufbeschwor, als er 1692 aus Salem dorthin floh."
H.P. Lovecraft & E. Hoffmann Price:
"Durch die Tore des Silberschlüssels"

Es ist etwas Unheimliches an dieser Familie Carter - und reden wir nicht einmal von ihrem entfernten Verwandten, der durch eine fortgeschrittene Form der Astralreise auf einen fremden Planeten gelangte und die phantastischen Berichte seiner Abenteuer dort an uns übermittelte. Es sind vor allem die Carters von Neuengland, die immer wieder in unheimliche (oder phantastische) Geschehnisse verwickelt sind - oder sie vielleicht sogar hervorrufen.

Und von all diesen ist vielleicht Randolph Carter der unheimlichste. Ein Träumer, ein Okkultist; ein Schriftsteller, dessen Veröffentlichungen in dem Schundmagazin Whispers zu einem Skandal führten und der in einige unerklärliche Vorfälle - und Todesfälle - verwickelt war. Wir erkennen in ihm unschwer das Alter Ego seines Biographen H.P. Lovecraft, einem anderen Träumer, der viele dieser außergewöhnlichen Visionen in dem Schundmagazin Weird Tales veröffentlichte.

Während sein unweiter Verwandter, jener andere Carter, nur einen einzigen Planeten erreichte und eine unvergleichliche Prinzessin fand, durchschritt Randoplph Carter den ganzen Raum der realen und Traumwelt bis hinein in weitere, bislang unerreichte Dimensionen - er wurde zu einem Bewohner der - nutzen wir einen fiktiven Begriff - Hyperzeit.

Randolph Carter ist - als Alter Ego des Autoren vielleicht erklärlich - der einzige wiederkehrende "Held" in Lovecrafts originalen Mythoserzählungen. Es sind sogar ganz genommen sieben, in denen er auf die eine oder andere Weise - in der einen oder anderen Gestalt - auftaucht: