Sonntag, 10. Mai 2015

Shortcuts 2015-05-10

"Die soll unablässig ein Ungeheuer bekämpfen, das alles verschlingen will, was an ihr erhaben ist: Die Gewohnheit."
Balzac*



"Warum winseln Sie so, Herr Gruner", fragt der freundliche Nervenarzt von Gegenüber, als ich im Schweiße meines Angesichts durch den Pseudosommer wandere. Der Hund an meiner Seite bleckt schon mal die Zähne - man kann ja nie wissen.
"Winseln? Wer winselt?"
"Na Sie doch... wegen der Netzwerkkonnektivität...", lacht mein Gegenüber, als handle es sich um eine Geisteskrankheit, derweil er schon mal vorsichtig auf den nächsten Baum klettert. "Und sollten Sie als besonders Eingeweihter nicht über solchen alltäglichen Sorgen stehen... diesen... diesen..."
"Erste-Welt-Problemen? Pff", sage ich und lass den Hund los.
"Das ist mir doch Wurst - das läuft nebenher. Aber wer hat schon Lust, länger auf eine Verbindung zu warten, als die tatsächlich zu nutzen - und überhaupt, wer keine Familie hat, kann da nicht mitreden. Je jünger man ist, desto größer wird der Leidensdruck, wenn die Technik nicht funktioniert. ich bin schon wieder ein Jahr älter geworden, da gibt man sich auch mit der Technik der Steinzeit zufrieden."
"Sie werden alt", höhnt er, auf der Rinde hockend wie ein perverser Specht. "Die ham Ihnen voll den Schneid abgekauft. Wo ist der wilde, verrückte Künstler hin, den ich kenne? Abgetaucht in die Monotonie des Spätkapitalismus?"
"Genau", sage ich. "Und jetzt komm mal runter da, ich hab' da noch etwas in der Tasche, das gerne einmal Bekanntschaft mit Deiner Nasenspitze machen möchte..."
"Koks?"
"Äh..."
"Speed?"
"Nein, aber Nasenbluten ist durchaus drin...", sage ich und nehme die Hände aus den Hosentaschen.
Der Hund schaut betreten zur Seite. Viel zu einfach...



Abteilung: Früher war alles besser.

Beim alljährlichen oder halbjährlichen Aufräumen meiner inneren und äußeren Tresore bin ich mal wieder über meine alte (sehr alte), aber liebgewordene Sammlung der vom Verlag Erich Pabel (in Rastatt) beginnend 1974 veröffentlichten Taschenbuchreihe TERRA FANTASY gestolpert.

Gut, ich bin ehrlich: Sie ist säuberlich in meinem Buchregal aufgereiht, und ab und an während meines alltäglichen Pentagrammrituales starre ich sie an, und manchmal entfährt mir ein Seufzer. Eine echte Pionierleistung - dies waren die ersten deutschsprachigen Veröffentlichungen der Originale und Klassiker, die zumindest in meinem Auge das, was man gemeinhin "Fantasy" schimpft, definiert haben. Die beste Taschenbuchreihe aller Zeiten.
Warum kennt die niemand mehr? Und warum gibt es nicht auch heute noch so etwas Schweinegeiles? Die letzten Bände besorge ich mir gerade für 1 Cent bei Amazon (zuzüglich Porto natürlich, aber dafür teilweise fast verlagsneu. Die haben sich besser gehalten als manche meiner Freunde.)
Ich werde wohl in den nächsten Wochen etwas Aufklärungsarbeit treiben müssen. Beginnen wir als erstes mit der Auflistung aller Bände. Das füllt den Blog auch ganz hervorragend.



Wort der Woche: "Kannibalisierung"
Im Deutschen vor allem für die Instandsetzung von Maschinen oder ähnlichem benutzt, indem man notwendige Ersatzteile aus anderen Maschinen ausbaut. Also irgendwie verwandt mit dem "Ausschlachten", was auch nicht netter klingt. Im Englischen wird derselbe Begriff auch auf das "Ausschlachten" von alten Texten benutzt, um einen neuen Text zu ergänzen oder komplett zu gestalten.
Also durchaus etwas, wozu auch der eine oder andere Autor, den ich gut kenne (*hüstel*) neigt, wenn er mal wieder seine interne oder externe Festplatte aufräumt und über ein Manuskript von vor 30 Jahren stolpert, das im Originalzustand kein Mensch verstehen oder lesen würde.



Abt.: Vergessene und Verlorene Welten
"Die Wildländer von Moon" - Umfang: Ein Prosagedicht und einige Sonette. (Nein, wirklich - wenn man jung ist, probiert man alles einmal aus.) Dazu: ein paar Listen und Landkarten.
Der Ausschlachtungs- oder Kannibalisierungsprozess verlief so:
Originaltitel: "Im Land der Totenstädte" (7.552 Zeichen)
Kannibalisierung: "An den Ufern von Demhe" (8.123 Zeichen)
1.916 (Abschnitt Toronto) und 1.383 (Abschnitt Quebec) Zeichen ersatzlos gestrichen und als Füllmaterial für eine andere Story zurückgelegt. Das heißt, insgesamt ist vom Original gerade mal die Hälfte übrig geblieben.
Ausschlachten? Eine ganz brutale Metzelei war das.
Sehen wir einmal, an welchem Ort wir das veröffentlichen können...


* Die von dem edlen Honoré erwähnten Ungeheuer sind nicht zu verwechseln mit den kleinen Monstern, die man beim Aufräumen findet. Im besten Fall sind sie putzige Erinnerungen an heitere Tage, oder vielelicht auch die Ideen, die man an eben diesen Tagen hatte. Ooga-Booga!

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