Sonntag, 12. Januar 2014

Jahres-Remix 2013

Brauchen wir wirklich eine Fortsetzung von nicht fortsetzbaren Texten von vor drei Jahren? Keine Ahnung, wer weiß das schon? Ich arbeite hier nur. Okay, weiter im Text: die Lautstärke bitte hochdrehen:

„JC?“, knarrte es aus dem Automaten. „JC?“
Völlig abgefuckt, ein Wahlomat mit schweren Störungen der Schaltkreise VIII, IX und X. „Nur Sex, Sex, Sex“, echot es durch die Samsung Galaxie. Was ist geschehen? Eine Projektion der Psyche, wie Vallee von den UFOs annahm, vielleicht in einer höherdimensionalen Form?

Amadeus steht im Offizierskasino, umgeben von betrunkenen und halb schlafenden Programmdirektoren, Hackern, Technojunkies. Neben ihm Paul Walker, der wandelnde Geist. Beide grinsen. Das ist nicht ihre Scene. Beide tragen die klassischen Perücken, über die wir uns schon im letzten Jahrhundert lustig gemacht haben. Beide sind breit, abgefuckt, denn wer kann ein solches Jahr schon nüchtern ertragen? „Wir haben den Rum und was zu rauchen“, sagt Paul. „ wir haben die Musik, wir haben die Technologie...“

Auf einem der Chaosschirme flimmert seit 24 Stunden Nonstop die Wiederholung der großen Hits: der weinende Immobilien Scout im Dschungelcamp, iPhone-Fisten Gangbang Style, und natürlich die Klassiker. Da ist der ewige Großbrand in einer Textilfabrik in Karachi. Die Untoten des Internets, mindestens 240 Menschen ums Leben gekommen. „Das ist fucking breaking bad“, sagt der Mann mit dem Hut und schenkt Amadeus und Paul noch einen ein. Flotte blaue Kristalle schwimmen im Champagner. „Der erste Hit ist immer kostenlos, Bübele“, grinst er.


Welcher Hit?, grübelt Amadeus und schaut sich um, aber er steht natürlich selbst mitten in der Hitparade. Um ihn herum die Bildschirme, flackernd, zitternd, keuchend: Dutzende Leichen in einem großen Raum im Keller, weitere Opfer würden befürchtet. Daneben die Gesichter der besorgten Polizisten, Feuerwehrmänner, Politiker. Jeder andere versinkt im Ozean der Bedeutungslosigkeit, weil er keine Bedeutung erzwingen kann. In der Fabrik in Karachi wurde rund um die Uhr gearbeitet, 60 Minuten die Stunde, 24 Stunden am Tag. Das waren 1440 Minuten am Stück, die Untoten des Internets im vollen Kreis, um schnelle, billige Klamotten zu verschiffen. Schwitzend, zitternd, vollkommen abgefuckt. Goldene Tangas für die Luxusschlitze von Paris, Hamburg, Kasachstan. Die meisten Opfer starben an Rauchvergiftungen. Immerhin, es hätte auch eine Schuhfabrik sein können.

„Hey, haste den gehört?“, gichelt der Hacker mit den toten Augen. „Da kam eine Frau in den Schuhladen…“
„Nein“, murmelt Amadeus, und er tätschelt den Kolben der Nadelpistole an seiner stramm geschnürten Kniehose. „Den hat niemand gehört…“

Und überall diese kleinen Menschen mit ihren kleinen Visionen. Man muss zwinkern, damit wenigstens eine von ihnen stabil bleibt. "Wir waren bei der Arbeit als plötzlich überall Feuer und Rauch waren", sagt ein Arbeiter. "Die Hitze war so groß, dass wir zu den Fenstern stürmten und die Eisengitter herausrissen." Über die Bildschirme pulst der magentafarbene Fliesstext: 1440 IST DIE MANIFESTATION DER QUADRATZAHL VON ZWÖLF. DER ZODIAK: EIN INTERNATIONALES VERBRECHERKARTELL, GELEITET VON ‚STEINBOCK’ SALIERI. WO IST JESUS? Ein Soundbite von Salieri, schwarz-weiß, ein animiertes Fahndungsbild. „Die Lebenden folgen meinem Willen. Selbst der Tod beugt sich auf mein Geheiß. Nummer Neun, Nummer Neun.“

Schnelle, direkte Information oder Unterhaltung? Immer wieder neue Dimensionen, immer wieder neue Planeten, neue Permutationen der einen Wahrheit boten sich an, sobald die Seite umgeschlagen wurde. Die Möglichkeiten zur Weltflucht waren unendlich, die parallelen Universen des Eskapismus ungezählt. Er war immer noch nicht aus der Beta-Testphase heraus. Sollte er sich deswegen schämen?

„Der Diebstahl geistigen Eigentums kann auch eine Art Hommage sein“, murmelte der Programmdirektor neben ihm. Irgendetwas sagte ihm, dass Hiram Kobalt irgendwo hinter all den Schirmen steckte, ein ewiges, niemals zwinkerndes Auge, dem nichts entging, kein Wort, kein Blick, keine der chemischen Reaktionen, die sein betrunkenes Hirn ihm aufzwängte. „Man muss schon lachen“, sagte er zu seinem Freund, der gebannt auf das Bild eines in Flammen aufgehenden Autos starrte, „’s ist so, als wenn ein Furz sich quer stellt und eine schöne Melodie zum besten gibt.“

„Was sagst Du?“ Paul Walker zwinkerte nicht einmal.
„Der Furz…“
„Was?“
„…er klingelt?“

Und dann öffneten sich die Schirme, die blauen Kristalle knallten so richtig rein, und der Mann mit dem Hut lehnte sich befriedigt zurück.

Das war am Sonntag. Am Mittwoch quoll noch immer Rauch aus dem Gebäude.

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